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Artikel vom 01.08.2008

Streit übers Atom: Lasst uns aus Fehlern lernen: Du sollst den Kern nicht spalten!

Tschernobyl - ein Mahnmal für die Gefahren der Atomenergie. Photo: via wikipedia.org Auch Atombefürworter gestehen: Es gibt nach 50 Jahren Forschung und Suchen kein einziges atomares Endlager auf der Welt. Das höchste US-Gericht hat festgelegt, dass ein Endlager nur genehmigt wird, wenn der Betreiber eine Sicherheit für eine Million Jahre garantieren kann. Wer aber könnte das?

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Ich ging den umgekehrten Weg wie Patrick Moore. Als Junge-Union-Kreisvorsitzender in Karlsruhe und CDU-Kandidat bei Landtagswahlen war ich in den 60-iger Jahren und später ein Befürworter der Atomenergie. Ich glaubte jenen Fachleuten, die uns erzählten: Atomenergie ist sicher! Allenfalls alle zehntausend Jahre könne etwas passieren!

Und dann passierte Tschernobyl. Ich begann endlich, intensiv zu recherchieren. Schon vor Tschernobyl waren in Sellafield (England), in Tscheljabinsk ( UdSSR) und in Harrisburg (USA) Nuklearunfälle passiert, die nach Ansicht der Fachleute niemals hätten eintreten dürfen. Also: Was alle 10.000 Jahre hätte passieren sollen, ist alle 10 Jahre passiert. So schnell vergeht die Zeit nach den Berechnungen der Atomfreunde. Sollten die drei Atomstörfälle der letzten Wochen allein in Frankreich oder die letztjährige Pannenserie an deutschen AKWs nicht auch die bisherigen Atombefürworter zum Nachdenken und Umdenken bewegen? Hat die unvorstellbare Schlamperei im “vorläufigen Endlager” Asse nicht erneut bewiesen, dass es nahezu unmöglich ist, Atommüll über zehntausende von Jahren endzulagern?

Auch in Deutschland ist “atomares Restrisiko” eine Realität, die uns jeden Tag “den Rest” geben kann.

In Zeiten des Terrorismus kommt hinzu, dass Schurkenstaaten in AKWs Zielscheiben erkannt haben. Wer diese zunehmende Gefahr ignoriert, lebt im Wolkenkuckucksheim, aber nicht in dieser real existierenden Welt. Er oder sie kann keine verantwortliche Politik machen. Was werden uns die Befürworter der Atomenergie nach dem nächsten Unfall oder nach dem ersten Terroranschlag an Ausreden präsentieren?

Die Kampagne gegen Atomkraft war und ist nicht töricht - wie der frühere Kampagnenmanager Moore heute meint - sondern richtig und realistisch. Mit Erneuerbaren Energien - sagt Al Gore - kann die USA schon in 10 Jahren allen Strom sicher, preiswert, ohne Klimaschäden und ohne neue Atomkraftwerke produzieren. Sowohl Barack Obama wie auch John McCain haben ihm zugestimmt.

Wenn die 100-prozentige Stromwende in den USA möglich ist, warum soll sie in Deutschland und in Europa dann nicht möglich sein? Präsident John F. Kennedy sagte Anfang der Sechziger: “Am Ende des Jahrzehnts wird der erste US-Amerikaner auf dem Mond sein”. Kennedy wurde verlacht. Nur acht Jahre später war es soweit. Ich kann mir gut vorstellen, dass die USA nach Bush grün wird und sich wie Deutschland von der Atomkraft verabschiedet.

Die vielbeschworene “Renaissance der Atomkraft” findet real nirgendwo statt. Zumindest bisher nicht. Die Fakten: In den letzten acht Jahren wurden weltweit sechs AKWs geschlossen und zwei neue ans Netz gebracht.

Frankreich hat im letzten Jahrhundert seinen Atomstromanteil innerhalb von 16 Jahren von Null auf 75 % hochgefahren. Wenn dies mit einer einzigen Energiequelle möglich war, warum soll dann im 21.Jahrhundert der 100%-Umstieg mit sechs erneuerbaren Energiequellen (Sonne, Wind, Bioenergie, Wasserkraft, Meeresenergie und Erdwärme) nicht in ähnlicher Zeit auch möglich sein? Warum soviel Technik-Kleinmut und Technik-Bedenkenträgerei? Unser Hautproblem in der gegenwärtigen Energiediskussion ist die sträfliche Unterschätzung der Erneuerbaren Energien und die leichtsinnige Überschätzung der rasch zu Ende gehenden alten Energien, einschließlich des Urans als Brennstoff für Atomkraftwerke. Allein die Sonne schickt uns jeden Augenblick 15.000mal mehr Energie wie zurzeit alle Menschen verbrauchen.

Es gibt gar kein Energieproblem, es gibt nur falsches Energieverhalten. Aber das können wir ändern.

Dabei fehlt es nicht mehr an Techniken, sondern ausschließlich am politischen Willen. Was möglich ist, zeigen einige deutsche Beispiele: Kassel und Nürnberg werden schon heute zu 100% mit erneuerbarem Strom versorgt. Die rund 500.000 Ostfriesen produzieren 96% ihres Stroms bereits aus erneuerbaren Energiequellen. Die Landesregierung von Schleswig-Holstein geht davon aus, dass das Land bis 2020 mehr Ökostrom produziert als alle Schleswig-Holsteiner verbrauchen werden.

Wir brauchen weder längere Laufzeiten für Atomkraftwerke noch neue Kohlekraftwerke. Allerdings: Die Politik muss sich mehr zutrauen als heute.

Meine Atomskepsis wuchs als mir nach dem GAU in Tschernobyl der dortige Chef für die Aufräumarbeiten, der Atomphysiker Wladimir Tschernousenko, seine Geschichte erzählte. Er war über 20 Jahre lang Professor für Atomtechnik in Kiew und ein glühender Anhänger der Kernenergie. Auch er war vor dem GAU der Meinung, dass ein Unfall wie in Tschernobyl niemals passieren könne. Er hatte, so erklärte er, die Gefahren “berufsbedingt verdrängt” und fügte hinzu: “Heute weiß ich, dass alles, was passieren kann, auch irgendwann passiert”. Der ICE hätte nie entgleisen dürfen, aber er ist entgleist. Der Transrapid hätte nie verunglücken dürfen, aber er ist verunglückt.

Michail Gorbatschow hatte Professor Tschernousenko 1986 zum Chef der Aufräumarbeiten in Tschernobyl berufen. Der Professor hat seine Atomgläubigkeit und das Verdrängen der Gefahren teuer bezahlt, nämlich mit seinem Leben. Er wurde im Tschernobyl-Reaktor verstrahlt und starb einige Jahre danach an Krebs. Aber der neue Atomfreund Patrick Moore ruft nur 22 Jahre nach Tschernobyl schon wieder zum Verdrängen auf.

Die Internationale Ärzteorganisation IPPNW geht davon aus, dass durch Tschernobyl inzwischen mehr als 80.000 Menschen an Krebs qualvoll gestorben sind. Meine Begegnung mit dem früheren Atomfreund Tschernousenko und sein Weg zum Gegner der Atomkraft waren mein eigenes “Damaskus”.

Bis heute kann uns kein Atomfreund sagen, wohin mit dem Atommüll. Wir wissen nur, dass er hunderttausend Jahre strahlt. Wir hinterlassen tausend Generationen unseren gefährlichen Abfall. Für mich ist das so verantwortlich wie in ein Flugzeug zu steigen, dessen Kapitän zwar starten kann, aber keine Landebahn kennt. Wer würde so etwas tun?

Meine Lebenserfahrung nach Tschernobyl sagt mir, dass es kein Fehler ist, Fehler zu machen, aber ein ganz großer Fehler, aus Fehlern nichts zu lernen. Heute weiß ich, dass die Nutzung von Kernenergie schöpfungswidrig ist. Vielleicht müssen wir uns im Atomzeitalter an einem 11. Gebot orientieren: Du sollst den Kern nicht spalten!

Artikel aus "Readers Edition": http://www.readers-edition.de (Angaben zur Quelle und zum Copyright dieses Artikels hier)

Franz Alt, 01.08.2008

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