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Flickr.com | Joe deSousa CC0 1.0 | Vor der Küste Schottlands steht genügend Infrastruktur der Öl- und Gasförderung bereit, um sie für die Verpressung von CO2 unter der Nordsee zu nutzen.

© Flickr.com | Joe deSousa CC0 1.0 | Vor der Küste Schottlands steht genügend Infrastruktur der Öl- und Gasförderung bereit, um sie für die Verpressung von CO2 unter der Nordsee zu nutzen.

Lieber CO2 unter die Nordsee pumpen als das Klima schützen?

Strategie der Bundesregierung: Die Bundesregierung setzt beim Klimaschutz auf neue Ideen: Warum die Treibhausgas-Emissionen radikal und teuer senken, wenn man CO2 einfach in leere Gasfelder unter die Nordsee pumpen kann? Entsprechende Angebote kommen aus Schottland und Norwegen.

Die Idee ist nicht neu. Schon vor Jahren begruben die deutschen Kohlekonzerne ihre Idee der unterirdischen Speicherung von CO2, der Widerstand der Bürger war einfach zu groß. Doch mit der fortschreitenden Klimakrise und der Unfähigkeit der hiesigen Politiker, konsequente Klimaschutzpolitik zu betreiben, kommt das Thema wieder auf die Agenda. Angetrieben von der Industrie, hofiert und gefördert von der Politik.

Merkel und Altmaier finden die Idee super

„Die CO2-Speicherung ist in Deutschland sehr umkämpft. Viele Menschen haben Sorgen. Andere Länder nehmen diesen Weg ins Auge.“ Mit dieser Aussage brachte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die neuerliche Diskussion um die Speicherung von Kohlenstoffdioxid im Mai in Fahrt. Denn neben sinkenden Emissionen müsse man „alternative Mechanismen“ finden und Aufforstung von Wäldern sei nun mal begrenzt. In ihrer Logik blieb nur das Auffangen und Speichern von CO2, Carbon Capture and Storage genannt, kurz CCS.

Genauso sieht es der für die Energiewende zuständige, aber beim Thema Klimaschutz bremsende Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (ebenfalls CDU). In seiner jüngst überarbeiteten Industriestrategie 2030 heißt es, die Abscheidung von Kohlendioxid und die Speicherung in tief liegenden geologischen Gesteinsschichten sei „erforderlich“. Große europäische Offshore-Potenziale stünden zur Verfügung, „hierfür sind entsprechende Kooperationen vor allem mit Norwegen, den Niederlanden und Großbritannien erforderlich“.

Will heißen: Deutsches CO2 aus der Industrie, die ihre Emissionen nicht ausreichend senken will oder tatsächlich kann, soll im Ausland unter die Nordsee gepresst werden. Dort, wo früher Gas unter dem Meer lagerte und heute, nachdem die meisten europäischen Öl- und Gasreserven leer gefördert worden sind, Platz ist. Das wäre dann Offshore Carbon Capture and Storage, kurz OCCS.

Schottland wappnet sich für altes CO2 und „blauen Wasserstoff“

Nicht nur die deutsche Regierung treibt solche Pläne voran, Schottland bietet sich derzeit als Abnehmer alten und neuen Kohlendioxids an. Im Nordosten kommt etwa ein Drittel des britischen Gases aus der Nordsee an, zukünftig soll auch in die andere Richtung transportiert werden: Aus Erdgas abgeschiedenes CO2 könnte über das Pipeline-Netz etwa 100 Kilometer weit in die nördliche Nordsee geleitet und dort in leere Gasfelder, mehrere tausend Meter tief, gepresst und eingeschlossen werden. Aus dem CO2-freien Erdgas würde sogenannter „blauer Wasserstoff“.

Die Infrastruktur ist weitgehend vorhanden und die Initiatoren haben jahrelange Erfahrung im Förderbusiness. Allein eine sogenannte Dampfreformierungsanlage für die CO2-Abscheidung und Wasserstoffproduktion fehlt noch. Finanzier dieser Idee ist unter anderem die schottische Regierung und auch aus EU-Fördertöpfen könnte Geld fließen.

Bei der Kohlendioxid-Abscheidung soll es aber nicht bleiben. Eine Pipeline könnte das Treibhausgas direkt aus einem Glasgower Industriegebiet in den Nordosten und direkt weiter unters Meer pumpen. Geplant ist zudem, dass CO2 per Schiff antransportiert und anschließend eingelagert werden kann, zum Beispiel aus Deutschland.

CO2 aus Deutschland per Schiff in Norwegen versenken

Ein ähnliches Projekt stellten bereits im Oktober der Gasnetzbetreiber Open Grid Europe und der staatliche norwegische Öl- und Gaskonzern Equinor vor. Sie planen mit ihrem Projekt „H2morrow“ eine geschlossenen Wertschöpfungskette für Wasserstoff im Industriemaßstab bis 2030. Pilotregion soll das Industriegebiet um Rhein und Ruhr in Nordrhein-Westfalen werden.

Konkret soll Erdgas aus Norwegen per Schiff an den Niederrhein transportiert und dort in einer Anlage zu blauem Wasserstoff reformiert werden. Dieser soll durch ein Gasnetz an Kunden in der Industrie, im Wärmebereich oder dem Verkehr geleitet werden. Das bei der Wasserstoffproduktion entstehende CO2 wird wieder per Schiff in die Norwegische See gebracht und dort mehr als 2.000 Meter tief in leere Gasfelder gepumpt.

Auch die Niederlande wollen CO2 in die Nordsee pumpen

Weltweit gibt es bereits mehrere größere CO2-Verpressungssysteme und sogar einige, die das Kohlendioxid unter dem Meer einlagern. Im Mai dieses Jahres wurde bekannt, dass gut 20 Kilometer vor der niederländischen Küste die weltweit größte CO2-Lagerstätte in der Nordsee entstehen soll. Dort wollen die Häfen von Rotterdam, Amsterdam und Gent ihre Emissionen von 60 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr einlagern. 2026 könnten die ersten Mengen vom Hafen in Rotterdam in die Nordsee fließen und helfen, die niederländischen Klimaziele einzuhalten.

Deutschland streitet um richtige Wasserstoff-Strategie

In Deutschland wird noch um die richtige Wasserstoffstrategie gerungen. Umweltverbände halten wenig von blauem Wasserstoff und CO2-Verpressung, sie wollen lieber konsequent Emissionen einsparen und nicht die fossile Industrie künstlich am Leben erhalten. Unterdessen ist sich die Bundesregierung uneins. Besonders die Union möchte Erdgas und Wasserstoff etablieren, während das Bundesumweltministerium diese Strategie kritischer sieht und auf grünen Wasserstoff setzt, also aus Ökostrom gewonnener, wirklich CO2-freier Wasserstoff.

Unterstützung erhielten Umweltschützer jüngst von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU). Nur mit grünem Wasserstoff sei CO2-Neutralität erreichbar, sagte sie in der vergangenen Woche auf dem Kongress „Wasserstoff als Energieträger“. Und forderte: Deutschland müsse in diesem Segment Weltmarktführer werden. Andere Wasserstoff-Technologien seien allenfalls Übergangslösungen. Damit stellte sie sich gegen ihren Parteikollegen und Wirtschaftsminister Altmaier und mächtige Verbündete in der deutschen Industrie.  

energiezukunft.eu
Quelle

Der Bericht wurde von
der Redaktion “energiezukunft“ (cw) 2019 verfasst – der Artikel darf nicht
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werden! | energiezukunft |
Heft 27 / 2019 | „Europas Energiewende“ | Jetzt lesen Download

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