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Konzept für nachhaltiges Investitionsprogramm gegen die Corona-Rezession

Die deutsche Wirtschaft braucht einen starken staatlichen Impuls, um möglichst rasch aus der von der Corona-Krise verursachten tiefen Rezession zu kommen und auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu gelangen.

Gemeinsame Empfehlung von Wirtschaftsforschern

Das staatliche Engagement ist nötig, weil sonst der wirtschaftliche Schock, vergleichbar mit den 1930er Jahren, eine wirtschaftliche Normalisierung dauerhaft blockieren könnte – mit gravierenden Folgen für die gesamte Gesellschaft. Das Impulsprogramm sollte vornehmlich Investitionen umfassen, und diese Investitionen sollten auf die Bewältigung der Dekarbonisierung, des demographischen Wandels und der digitalen Transformation abzielen.

Zu diesen Ergebnissen kommt ein gemeinsames Konzept zur Überwindung der Krise, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Wirtschaftsforschungsinstitute und Hochschulen heute vorlegen. Das Programm sollte über Kredite des Bundes finanziert werden, über mehrere Jahre laufen, aber bereits in nächster Zeit verbindlich angekündigt werden.

„Welcher Anteil unmittelbar 2020/2021 ausgabenwirksam werden sollte, hängt davon ab, wie sich die konjunkturelle Entwicklung bis zur Aufstellung des Haushaltsentwurfs im Juni 2020 entwickelt“, schreiben die Autorinnen und Autoren Prof. Dr. Sebastian Dullien (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung), Prof. Dr. Michael Hüther (Institut der deutschen Wirtschaft), Prof. Dr. Tom Krebs (Universität Mannheim), Prof. Dr. Barbara Praetorius (Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Co-Vorsitzende der „Kohle-Kommission“) und Prof. Dr. C. Katharina Spieß (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung).

In ihrer Analyse warnen die Forscherinnen und Forscher vor einer „Hysterese“ – einer hartnäckigen Spirale aus Nachfragverlusten, die hart und dauerhaft auf die Beschäftigung durchschlagen könnte „Weitere Schritte werden notwendig sein, damit Wirtschaft und Gesellschaft den Weg aus der Krise heraus auf einen sozial ausgewogenen, nachhaltigen Wachstumspfad finden können“, schreiben sie. „Eine Politik des Abwartens kann hohe Kosten verursachen.“ Um auf die wirtschaftlichen Herausforderungen der Krise zu reagieren, braucht es nach Ansicht der Forscher neue wirtschaftspolitische Rezepte. Was in vergangenen Krisen funktioniert habe, etwa die Konjunktur über die Konsumnachfrage zu stimulieren, sei in der aktuellen Lage weniger vielversprechend und habe eventuell sogar unerwünschte gesundheitspolitische Nebenwirkungen, schließlich blieben die Möglichkeiten zum Einkaufen oder Ausgehen auf absehbare Zeit beschränkt. Der staatliche Impuls sollte daher vor allem ein Investitionsprogramm sein – damit ließen sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und die Widerstandskraft der Wirtschaft insgesamt erhöhen.

Die Forscher gliedern ihre Vorschläge in drei Bereiche: Private und öffentliche Investitionen, die jeweils eine starke Umwelt- und Klimakomponente haben, sowie deutlich aufgestockte Ausgaben für Bildung, mit denen auch dringend benötigte technische Ausrüstung und zusätzliche Kompetenzen für digitalen Unterricht finanziert werden sollen. Außerdem plädieren die Wissenschaftler für ein ausgebautes „Transformations-Kurzarbeitergeld“.

Zur Anregung privater Investitionen setzen die Expertinnen und Experten auf gezielte steuerliche Lösungen wie verbesserte Abschreibungsregelungen, nicht auf generelle Steuersenkungen. Die erweiterten Abschreibungen sollten zeitlich befristet sein, um einen Anreiz zu einer schnellen Planung und Umsetzung von Investitionen zu bieten. Denkbar wäre zum Beispiel eine vollständige Sonderabschreibung von Anlagegütern im Jahr der Anschaffung. Dies stärke die Finanzierungskraft sowie Solvenz von Unternehmen – und damit auch deren Bereitschaft, zu investieren.

Darüber hinaus wären folgende Maßnahmen zur Förderung privater Investitionen sinnvoll:

  • Abwrackprämie für Ölheizungen verbunden mit Anreizen zum Einbau von Wärmepumpen
  • Förderung energetischer Gebäudesanierung
  • Ausbau von Solar- und Windenergie
  • Förderung von klimaneutralen Anlagen in der Chemie-, Stahl- und Zementindustrie
  • Unterstützung der Autoindustrie durch Förderung von Elektroautos, Ladesäulen und Batteriezellenproduktion
  • Abnahmegarantien für im Inland produzierte medizinische Güter
  • Steuerliche Vorteile für Forschung und Entwicklung speziell in kleinen und mittleren Unternehmen

Nach Meinung der Forscher sollte der Staat zusätzlich die öffentlichen Ausgaben erhöhen: Damit schaffe man einen Ausgleich für den Rückgang der privaten Nachfrage und stärke das langfristige Wachstum. Ein Blick auf die verschiedenen staatlichen Ebenen zeige deutlich, dass der größte Bedarf an öffentlichen Investitionen bei den Kommunen liegt. An dieser Stelle müsse der Bund unterstützend eingreifen.

Zugleich solle der Staat Investitionen in öffentlichen Unternehmen vorantreiben. Zu diesen Maßnahmen raten die Forscher:

  • Tilgung der Altschulden überschuldeter Kommunen durch einen einmaligen Beitrag
  • Einrichtung eines Fonds, der den Kommunen die Kosten für die Pandemie-Bekämpfung erstattet
  • zusätzliche Mittel für den Erhalt einer flächendeckenden Krankenhaus- und Notfallversorgung
  • Aufstockung der Mittel aus dem Kommunalinfrastrukturförderungsgesetz I für  finanzschwache Kommunen
  • mehr Bundesmittel für den Ausbau des schienengebundenen Nahverkehrs
  • Gründung eines Investitionsfonds des Bundes, der sich an öffentlichen Infrastrukturgesellschaften der Länder oder Kommunen beteiligt
  • Ausbau der Partnerschaft Deutschland (PD) –  dabei handelt es sich um eine privatrechtlich organisierte Gesellschaft in öffentlicher Hand, die Kommunen und Länder in Fragen der Verwaltungsmodernisierung und bei der Planung von Bau- und Infrastrukturprojekten berät
  • Stärkung und Neugründung öffentlicher Unternehmen wie beispielsweise einer Infrastrukturgesellschaft Digitales oder einer europäischen Wasserstoff-Entwicklungsgesellschaft

Nicht zuletzt sollte der Staat die Investitionen in Bildung erhöhen. In der Krise sei einmal mehr deutlich geworden, wie sehr familiäre Unterschiede dem gesellschaftlichen Ziel gleicher Chancen für alle entgegenstehen, schreiben die Forscher. Viele Schulabgänger würden keinen Ausbildungsplatz finden, weil die Bewerbungsphase in eine Zeit fällt, in der sich die Unternehmen mit Neueinstellungen zurückhalten. „Aus ökonomischer Sicht ist es sinnvoll, jetzt staatliche Sonderprogramme mit verbesserten Konditionen zur Ausbildung von Fachkräften in Bereichen wie frühe Bildung und Pflege aufzulegen“, heißt es in dem Papier.

Investitionen sollten vor allem in diesen Bereichen erfolgen:

  • Ausbau der frühen Bildung und Betreuung
  • Steigerung der pädagogischen Qualität in der Kindertagesbetreuung
  • Ausbau der ganztägigen Betreuung von Grundschulkindern
  • Digitalisierung von Schulen
  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Sonderprogramme für Beschäftigte in Erziehungs- und Pflegeberufen
  • Ausweitung des (Transformations-)Kurzarbeitergeldes in Kombination mit beruflicher Weiterbildung oder Umschulung

Die notwendigen Maßnahmen sollten als Gesamtpaket verabschiedet werden, damit private Haushalte und Unternehmen frühzeitig wissen, womit sie planen können, schreiben die Ökonomen. Das bedeute nicht, dass alle Maßnahmen gleichzeitig verwirklicht werden müssen. Die Umsetzung werde sich teils über mehrere Jahre ziehen. In dieser Zeit könnten zurzeit nicht vorhersehbare Anpassungen erforderlich sein. „Das alles spricht für eine Wirtschaftspolitik, die den Mut zum großen Wurf mit der notwendigen Flexibilität in der Umsetzung verbindet“, so die Wissenschaftler.

Weil die aktuelle Situation hohe Flexibilität erfordert, haben die Ökonomen in ihrem Papier bewusst auf die Angabe konkreter Zahlen für die verschiedenen Maßnahmen und für das Gesamtprogramm verzichtet. Sie empfehlen, die zusätzlichen Investitionsausgaben durch neue Kredite zu finanzieren. Erstens habe Deutschland – im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Ländern – dafür die notwendigen finanziellen Spielräume: Die deutsche Staatsschuldenquote sei moderat und die Zinsen auf Bundesanleihen seien niedrig. Auch mit Blick auf künftige Generationen sei eine Kreditfinanzierung sinnvoll – schließlich handele es sich um Investitionen in die Zukunft, deren „erwartete gesamtwirtschaftliche Rendite weit über dem Zinssatz für eine Neuverschuldung“ liegt. Eine Finanzierung mittels Steuererhöhung sei dagegen nicht sinnvoll, da diese die positiven Konjunkturimpulse des Investitionspakets schwächen würden.

Weitere Informationen:   

  • Sebastian Dullien, Michael Hüther (Institut der deutschen Wirtschaft), Tom Krebs, Barbara Praetorius, C. Katharina Spieß (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung): Weiter denken: Ein nachhaltiges Investitionsprogramm als Teil einer gesamtwirtschaftlichen Stabilisierungspolitik. Download (pdf)
  • Executive Summary zum Konzept (pdf) 
Quelle

Hans-Böckler-Stiftung 2020

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