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Jahresrückblick 2020: Klima, Kohle und Corona

Die Corona-Pandemie hat die Weltwirtschaft lahmgelegt, Deutschland einen kraftlosen Kohleausstieg eingeleitet und ein enttäuschendes EEG-Gesetz verabschiedet. In Brasilien brennt der Regenwald – doch die Welt schaut nur zu. Ein Jahresrückblick.

Es war in diesem Jahr das alles bestimmende Thema – und ist auch an der Energiewirtschaft und dem Klimaschutz nicht spurlos vorbeigegangen. Bei der 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow sollte eigentlich über mehr Verbindlichkeit bei den eigenen Klimaschutzmaßnahmen sowie der Klimafinanzierung für Entwicklungsländer diskutiert werden. Doch ein derartiges Zusammentreffen war pandemiebedingt nicht möglich. Genauso wenig wie viele weitere kleinere und größere Veranstaltungen zu Energie und Klima. Entscheidungen wurden vertagt.

Auch die Wirtschaft musste wegen der Pandemie massiv runterfahren. Was für viele existenzbedrohend war, sorgte zugleich dafür, dass die weltweiten CO2-Emissionen so stark gesunken sind wie nie zuvor. Um sieben Prozent bzw. 2,4 Milliarden Tonnen gingen die Emissionen im Vergleich zum Vorjahr zurück. Mit rund 34 Millionen Tonnen CO2 verbrauchte die Menschheit dieses Jahr trotzdem einen bedeutenden Teil des verbliebenen CO2-Budgets zur Einhaltung der Pariser Klimaziele. Klimaaktivsten und Umweltverbände forderten immer wieder die Corona-Finanzhilfen für eine nachhaltige Zukunft und massiv in Energiewende, Verkehrswende und eine klimaneutrale Wirtschaft zu investieren – teilweise mit Erfolg.

Europäische Union will mehr Klimaschutz

In der EU laufen seit Ende 2019 unter dem Stichwort Green Deal Bemühungen, als erster Kontinent bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Im März 2020 stellte Vizepräsident Frans Timmermans in Brüssel das dazugehörige Klimagesetz vor, das die Ziele in europäisches Recht gießen soll. Darin enthalten war bereits das ambitionierte Klimaziel, bis 2030 die Treibhausgasemissionen nicht nur um 40 Prozent gegenüber 1990 zu mindern, sondern um 50 bis 55 Prozent.

© Europäische Kommission | EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen | Source EP, CC-BY 4.0 | Pietro Naj-Oleari
© Europäische Kommission | EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen | Source EP, CC-BY 4.0 | Pietro Naj-Oleari

Im September schlug EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dann ebenfalls das 55-Prozent-Ziel vor. Davon mussten anschließend alle Mitgliedsstaaten der EU überzeugt werden und in der jeweiligen nationalen Politik die Weichen stellen. In der zweiten Dezemberwoche traten Charles Michel, Ursula von der Leyen und Angela Merkel nach einer langen Verhandlungsnacht vor die Kameras und teilten mit, dass das neue Klimaziel von allen europäischen Staatschefs mitgetragen werde. Auch wenn dafür Finanzmittel der EU in Milliardenhöhe bereitstehen, wird Geld allein den notwendigen Systemwechsel nicht bewirken. Allein das umfangreiche Renovierungsprogramm für Gebäude und die notwendigen Maßnahmen im Verkehrssektor berühren viele Infrastrukturen, Gesetze und Normen, die angepasst werden müssen.

Das EEG 2021 geht nicht weit genug

In Deutschland stand 2020 die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes als wichtiges Vorhaben auf der Agenda. Nach positiven Ankündigungen hoffte die Branche 2020 auf eine schnelle Abschaffung des 52-Gigawatt-Deckels für Photovoltaik. Doch weit gefehlt. Erst im Sommer 2020, kurz vor Erreichen des Limits, fiel er tatsächlich. Unzählige Petitionen, offene Briefe und Demonstrationen hat es gebraucht. Kraft und Zeit, die die Solarbranche gern anders investiert hätte.

Beim Windkraftausbau hat die Politik nichts Substantielles geliefert. Eine koordinierte Bund-Länder-Strategie zur Flächenausweisung für Windkraftanlagen gibt es bisher nicht, im Oktober endete der Runde Tisch  zum Weiterbetrieb und Repowering alter Anlagen ergebnislos, Regeln zur Beteiligung von Standortkommunen und nicht zuletzt ein bundeseinheitlicher Umgang mit dem Artenschutz lassen auf sich warten.

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Das überarbeitete EEG kommt nun auf den letzten Metern des Jahres zustande. Doch all das ändert nichts an der Tatsache, dass eine Chance verspielt wurde. Das EEG 2021 bleibt in der Systematik seiner Vorgänger und bringt viele Änderungen im Detail. Die sogar von Juristen beklagte Komplexitätsfalle wird noch größer – längst ist das Gesetz so kompliziert und umfangreich, dass es kleinere Akteure eher abschreckt als ermuntert und mehr die Juristen beschäftigt als die Installateure. Für den Windkraftausbau bringt es einige wenige Impulse, für die Photovoltaik eher neue Bremsen, für den Mieterstrom etwas Erleichterung.

„Das KohleEINstiegsgesetz“

Das Kohleausstiegsgesetz brachte dagegen keine Erleichterung. Gut anderthalb Jahre nachdem die Kohlekommission Vorschläge gemacht hatte, legte die Bundesregierung im Sommer 2020 den Fahrplan für den Kohleausstieg Deutschlands vor. Schon in den Monaten zuvor wurde deutlich, dass sich der von Industrie, Gewerkschaften und Umweltschützern ausgehandelte Kompromiss nicht im Kohleausstiegsgesetz wiederfinden wird. Statt einem stetigen Abschaltplan für die deutschen Kohlekraftwerke sollen viele erst kurz vor dem endgültigen Ausstiegsdatum im Jahr 2038 abgeschaltet werden. Der Hambacher Wald soll zwar nicht weiter abgegraben werden, doch zugleich wurde dem Tagebau Garzweiler eine Bestandgarantie zugesprochen, statt wie von der Kohlekommission vorgeschlagen, Gespräche mit den Betroffenen zu führen.

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Umweltverbände sprechen von einem „Kohleeinstiegsgesetz“. Denn neben festgelegten Abschaltdaten erhalten die Betreiber auch noch Entschädigungen. Für die Steinkohle werden dafür bis Ende 2026 Auktionen durchgeführt, bei denen um die Höhe von Entschädigungszahlungen geboten wird. Dabei schrieben viele Kohlekraftwerke bereits 2020 Verluste – dank zunehmend wirksamen Europäischen Emissionshandel, abnehmenden Subventionen, weniger Investoren und günstigen Erneuerbaren Energien. Das ist auch bei Braunkohlekraftwerken der Fall. Doch hier haben Bund und Betreiber in geheimen Verhandlungen festgelegte Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe festgelegt, die dafür sorgen, dass die Betreiber weiter Kohle verstromen, obwohl es wirtschaftlich keinen Sinn mehr macht. Die Europäische Union prüft noch, ob das nach EU-Recht rechtens ist. 

Fossile Kraftwerke wurden abgehängt

Dass die Kohlekraft in Deutschland dem Ende entgegen geht, zeigen weitere Meilensteine der Energiewende 2020: Erstmals haben Erneuerbare-Energien-Anlagen in einem gesamten Jahr mehr Strom erzeugt als fossile Kraftwerke. Derzeit beträgt der Anteil an der Nettostromerzeugung 50,5 Prozent. Allein die Windenergie hat mit 26,5 Prozent mehr als ein Viertel der gesamten Erzeugung gestemmt – und damit die Braun- und Steinkohlekraftwerke, die zusammen auf 24,1 Prozent kamen, deutlich abgehängt. Ebenfalls ein Rekord: Im Februar und April erreichten die Erneuerbaren erstmals über einen ganzen Monat hinweg einen Erzeugungsanteil von mehr als 60 Prozent.

Ausbau Erneuerbarer Energien lief durchmischt

Auch wenn im Oktober die zweimillionste Solarstromanlage in Deutschland in Betrieb genommen wurde, lief der Ausbau der Erneuerbaren insgesamt eher schleppend. Ein Lichtblick in diesem Jahr: Die Solarbranche wird sich zum Jahresende vermutlich über einen Zubau von mehr als fünf Gigawatt freuen können. Bis Oktober waren immerhin schon rund 4,3 Gigawatt neu installiert. Beim Windkraftausbau herrschte dagegen genau wie in den Vorjahren Flaute. An Land und auf See gingen Prognosen des Bundesverband WindEnergie zufolge Anlagen mit einer Leistung von ungefähr 1.500 Megawatt ans Netz. Das ist zwar mehr als im Vorjahr, wo nur 1.078 Megawatt installiert wurden, jedoch bei weitem nicht genug zum Erreichen der Klimaziele.

Deutschlands „Nationale Wasserstoffstrategie“

Deutschland soll bei den Wasserstofftechnologien die Nummer 1 auf der Welt werden, so die Ansage des Wirtschaftsministers Peter Altmaier. Im Juni verabschiedete das Bundeskabinett Deutschlands Nationale Wasserstoffstrategie im Rahmen des milliardenschweren Konjunkturpakets. Bis zum Jahr 2030 sollen Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff mit einer Gesamtleistung von bis zu fünf Gigawatt entstehen, der Finanzbedarf wird auf etwa sieben Milliarden Euro geschätzt. In den darauffolgenden Jahren soll die geplante Kapazität um weitere fünf Gigawatt erweitert werden. Die Bundesregierung will dabei den Fokus auf grünen Wasserstoff setzen, weswegen gleichzeitig Onshore- und Offshore-Windenergieanlagen zur Stromerzeugung für die Elektrolyse zugebaut werden. Das wird Deutschlands Ökostromlücke weiter vergrößern – ein Ausbau der Erneuerbaren muss drastisch beschleunigt werden, um die Importabhängigkeit zu verringern.

Europas Wasserstoff ist bunt
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Auch Europa hat 2020 die genaue Ausgestaltung einer Wasserstoffstrategie verhandelt, durch die eine Dekarbonisierung von Industrie, Verkehr, Stromerzeugung und Gebäuden vorangetrieben werden soll. Man will ebenfalls auf erneuerbaren Wasserstoff setzen, der hauptsächlich mithilfe von Wind- und Sonnenenergie erzeugt wird. Für Kritik sorgt die Formulierung „hauptsächlich“, denn mit eingeplant wird auch sogenannter blauer Wasserstoff aus Erdgas und womöglich violetter Wasserstoff aus Atomkraft. Bis 2024 sollen in der EU Elektrolyseure mit einer Leistung von mindestens sechs Gigawatt entstehen, bis 2030 von mindestens 40 Gigawatt. Zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 sollen die Technologien für erneuerbaren Wasserstoff ausgereift sein.

Bolsonaro als Brandbeschleuniger des Regenwaldes

Die Zerstörung des brasilianischen Amazonas-Regenwaldes erreicht in diesem Jahr einen traurigen Rekord. Seit Jair Bolsonaro Brasiliens Präsident ist, hat sich die Lage von Brasiliens grüner Lunge dramatisch verschlechtert. Laut Daten des brasilianischen Institutes für Weltraumforschung Inpe sind weitere 11.000 Quadratkilometer Wald gerodet oder in Schutt und Asche gelegt worden – fast zehn Prozent mehr Fläche als im Jahr davor. Geht die hemmungslose Entwaldung weiter, könnte sich der Wald bis 2035 von einer Kohlenstoffsenke in eine Kohlenstoffquelle verwandelt haben, warnen britische Wissenschaftler. Der Wald würde dann mehr Kohlenstoff abgeben als aufnehmen. Doch in Bolsonaros Haushaltsplan für 2021 sind weitere Kürzungen für den Waldschutz vorgesehen.

Mercosur-Abkommen heizt den Klimawandel weiter an

Mit dem Mercosur-Handelsabkommen würde die Zerstörung des Regenwaldes weiter vorangetrieben. Nach 20 Jahren Verhandlungen hatte es für den Vertrag zwischen der EU und den südamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay im EU-Parlament immer mehr politischen Gegenwind gegeben.

Der aktuelle Vertrag beinhaltet keine wirksamen Instrumente, um Vertragsverletzungen zur Reduktion von Treibhausgasen zu ahnden. Das Abkommen konterkariert auch Europas Klimaschutzambitionen in der Landwirtschaft, es droht ein verstärkter Import von Fleischprodukten und Tierfutter, für deren Weiden und Anbau riesige Regenwaldgebiete abgeholzt werden. Zerstörung indigener Lebensräume, illegale Brandrodungen – Mercosur wäre ein Freibrief für Bolsonaros Kahlschlag-Politik und eine klimapolitische Bankrotterklärung der EU. Statt den Freihandel in der Welt voranzutreiben, müsste die EU als Verhandlungspartner Maßstäbe in Bezug auf Menschenrechte und verbindliche Umweltstandards setzen, fordern Umweltschutz-Organisationen.

EU-Agrarreform vorerst gescheitert

Französische Bauern hatten in Brüssel gegen den Mercosur-Handelsdeal und damit einen verstärkten Fleisch-Import aus Brasilien protestiert, weil sie Preiseinbrüche am Fleischmarkt fürchteten. Die billigen Agrarexporte aus Südamerika setzen auch die kleinbäuerlich geprägte europäische Landwirtschaft unter Druck. Dabei trägt die europäische Landwirtschaft einen entscheidenden Anteil an Treibhausgas-Emissionen bei. Laut Öko-Institut produzierte der Agrarsektor im Jahr 2018 allein in Europa rund 435 Millionen Tonnen Treibhausgase – ein Achtel der gesamten EU-Emissionen. Dabei geht es nicht nur um das Klima, sondern auch um den Schutz der Biodiversität. Die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen.

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Experten fordern deshalb eine Wende in der Agrarwirtschaft. Den wichtigsten Ansatzpunkt sehen sie in den Subventionszahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP). Bisher werden Fläche und hoher Ertrag belohnt. Experten fordern die Abkehr vom bisherigen System der pauschalen Direktzahlungen und eine deutliche Kopplung der Subventionen an verbindlichen Klima- und Umweltschutz. Ein Umbau wäre aber nur dann sinnvoll, wenn auch die größte Emissionsquelle der Landwirtschaft, nämlich die Massentierhaltung, in die Maßnahmen einbezogen wird. Doch das EU-Parlament blieb bislang in seiner Positionierung rückwärtsgewandt. Bis 2021 war ein Systemwechsel versprochen – doch der ist nicht in Sicht.

Pariser Abkommen ohne USA, USA ohne Trump

Der bald scheidende US-Präsident Donald Trump setzte in diesem Jahr noch einmal alles daran, Umwelt- und Klimaschutz zu blockieren. Die Corona-Krise nutzte er, um weitere Umweltauflagen außer Kraft zu setzen.. Bereits ein Jahr zuvor in die Wege geleitet, trat die USA am 4. November auch noch offiziell aus dem Pariser Klimaabkommen aus. Es war zugleich der Tag der US-Wahl, die nach Tagen der Ungewissheit für Aufatmen bei Klima- und Umweltschützern weltweit sorgte. Joe Biden wird der neue US-Präsident. Der kündigte an, massiv in den Klimaschutz zu investieren.

Was sonst noch wichtig war

In Deutschland steht die Bundestagswahl im kommenden Jahr an. Kommunalwahlen in NRW zeigten in diesem Jahr bereits ein klares Votum für Umwelt- und Klimaschutz. Auch in Frankreich rollte bei Kommunalwahlen eine grüne Welle durch die Metropolen. Und ein Bürgerrat legte detaillierte Pläne für ein nachhaltiges Frankreich vor. In Deutschland werden die Forderungen nach einem Bürgerrat zur Klimapolitik ebenfalls lauter. Unterstützt wird dies unter anderem von Extinction Rebellion und Fridays for Future, die es trotz Corona schafften, mit vielfältigen Protesten auf den Straßen Gehör zu finden.

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Derweil rumorte die Debatte um die Atomkraft in diesem Jahr kräftig weiter. In Deutschland gestaltet sich die Suche nach einem Endlager für Atommüll schwierig. Andere europäische Staaten setzen hingegen weiter auf die gefährliche und umweltschädliche Kernenergie und versuchen sie als Teil der künftigen Energiestrategie der EU zu implementieren. Positive Zeichen setzten dagegen europäische Metropolen bei der Verkehrswende. In Berlin und Paris ploppten im Zug der Corona-Pandemie sogenannte Pop-Up-Bikelanes auf, die im Schnellverfahren mehr Platz für Radfahrer schufen. Die meisten sollen dauerhaft erhalten bleiben. Auch Brüssel und Mailand geben dem nicht motorisierten Verkehr sukzessive Vorrang.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion “energiezukunft“ – Nicole Allé, Petra Franke, Manuel Först, Joschua Katz 2020 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | energiezukunft | Heft 29 / 2019 | „Urbane Energiewende“ |  Jetzt lesen | Download

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