Heizung und Warmwasser
Quelle: Pia Grund-Ludwig

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Wohnanlage soll von Februar bis November energieautark sein

Solare Nahwärme wird mit Stromkabel verteilt

Zwei der sieben Gebäude, eines ist bereits mit Solarmodulen belegt. Foto: City-Haus Immobilien GmbH

Fast jedes Haus hat einen Stromanschluss. Zur Nahwärmeversorgung werden meist parallel zum elektrischen Netz Kunststoffröhren verlegt. Aber kann man sich das nicht sparen und die Wärme in Form von Strom verteilen? Ein ungewöhnliches Projekt in Brandenburg.

Rund zehn Kilometer vor der Berliner Stadtgrenze liegt die 15.000-Einwohner-Gemeinde Petershagen/Eggersdorf. Bis Juli dieses Jahres werden um die 200 Mieter in sechs neue Mehrfamilienhäuser der Wohnanlage „Energieinsel Petershagen“ eingezogen sein. Mehrere Gebäude sind bereits bewohnt; auch das zugehörige Wellness-Gemeinschaftshaus ist in Betrieb, und es gibt erste Messergebnisse.

Das Ensemble ist nicht von Wasser umgeben, wie man nach dem Namen vermuten könnte. Es ist vielmehr auf Brandenburger Festland projektiert und lediglich energietechnisch gesehen als nahezu autarke „Insel“ geplant: durch ein Strom-Wärme-Kühlungs-System mit je einer Erdwärmepumpe in jedem Gebäude – thermische Nennleistung 38 Kilowatt – sowie im Endausbau Photovoltaik mit einer Nennleistung von zusammen 500 Kilowatt auf den asymmetrischen Satteldächern und den Carports.

Nahezu energieautarke Wohnanlage

Anfang Februar könnte man den Simulationen zufolge die Häusergruppe vom öffentlichen Stromnetz trennen und erst Ende November wieder einklinken – wollte man nicht die Überschüsse des zu erwartenden Solarstrom-Jahresaufkommens von 500.000 Kilowattstunden ins Netz einspeisen. Nur im Dezember und Januar wird voraussichtlich zeitweise Netzstrom gebraucht; aber auch da soll die aus Sonneneinstrahlung und Erdwärme in diesem Zeitraum gewonnene Energie 85 Prozent der von den Bewohnern nachgefragten Strom- und Wärmemenge liefern. Keine Gasleitung geht aufs Grundstück, kein Lkw liefert Heizöl oder Holz an. Möglich soll das werden, indem sowohl das Elektro- und Steuerungskonzept von Planer Denis Rücker als auch Wärmekomponenten und -konzeption von Bosch Thermotechnik den Stand der Technik bis ins Detail ausreizen.

Eine private 400-Volt-Ringleitung verbindet den Netzanschlusspunkt mit allen sieben Gebäuden. Eine zentrale Steuerung ermittelt ständig in Echtzeit, in welchem Haus aktuell wieviel Strom und Wärme nachgefragt werden. Kann der Strom aus den Solarmodulen gerade nicht direkt als Haushalts-, Allgemein- oder Elektroauto-Ladestrom verwertet werden, wird er als Wärme in einen von 28 Warmwasser-Pufferspeichern mit je 1.000 Liter Inhalt eingelagert.

Wärme als Strom transportieren

Das geschieht, indem Wärme aus Erdwärme-Tiefenbohrungen neben jedem Haus über je eine Sole-Wasser-Wärmepumpe mit Einspritztechnik und zwei Kompressoren gewonnen oder – falls zu kurzzeitig dafür – der Strom einfach über Heizstäbe in die Pufferspeicher geht. Die Wärmepumpen arbeiten je nach Wärmeanforderung in verschiedenen Stufen und Stärken. Ihr SCOP soll laut Plan bei mindestens 5,5 liegen. Sind die Pufferspeicher schon heiß genug, geht die elektrische Energie in einen der brandsicheren Lithium-Ionen-Akkus. Von diesen Solarspeichern ist eine Kapazität von 36 Kilowattstunden pro Gebäude installiert. Durch die elektrische Ringleitung können Verschiebe-, Speicher- und Pufferungsvorgänge Energie von jedem Haus zu jedem anderen transportieren. Das senkt, ähnlich wie bei einem herkömmlichen Nahwärmenetz, den Gleichzeitigkeitsfaktor und hält so Aufwand und Kosten niedrig.

Wie kommt nun die Wärme in die Wohnungen? Das Heizungswasser wird zu Wohnungsstationen hochgepumpt. Als Vorlauftemperatur reichen etwa 38 Grad, denn es werden Fußbodenheizungen eingesetzt, und alle Häuser sind nach KfW-Effizienzhaus-Standard 55, 40 oder sogar 40 Plus geplant. Davon getrennte Leitungen vom Speicher zu den Plattenwärmetauschern in den Frischwasserstationen jeder Wohnung führen im Vorlauf etwa 48 Grad heißes Wasser.

Im Sommer kann das System die Räume passiv kühlen. Dadurch hat wiederum im September die Soleflüssigkeit aus den Tiefenbohrungen etwa 19 bis 20 Grad – durch zusätzliche Energie aus der über den Sommer angewärmten Sondenumgebung.

Miete inklusive Wärme und Klimatisierung

Das System erlaubt es dem Investor und Vermieter, eine für 25 Jahre konstante Festmiete anzubieten, in der eine kostenlose Wärmelieferung sowie die Klimatisierung enthalten sind. Neben einem „guten Gewissen“ beim Baden und Duschen angesichts der umweltverträglichen Energiegewinnung könnte es auch an diesem Nulltarif liegen, daß von den Bewohnern relativ viel Warmwasser verbraucht wird. Dessen Bereitstellung drückt den SCOP, weil sie ein höheres Temperaturniveau erfordert als die Heizwärme.

In einem der Gebäude, es hat eine Fläche von rund 1100 Quadratmetern, hat die Aqua-thermic Ingenieurgesellschaft, deren Geschäftsführer Denis Rücker ist, bereits komplette Jahresenergieflüsse erfasst. Dabei kam heraus, dass für dieses Haus 47.110 Kilowattstunden Heizenergie und 81.053 Kilowattstunden Wärme für das Trinkwasser bereitgestellt wurden; zusammen also 128.163 Kilowattstunden. Dafür wurden 26.767 Kilowattstunden Strom aufgewendet. Das entspricht einem SCOP von knapp 4,8. Rücker hofft, dass ein Appell an die Mieter den Warmwasserverbrauch normalisiert und der SCOP später den geplanten Wert von 5,5 erreicht.

Die kalkulatorischen Jahresbetriebskosten betragen auf den Quadratmeter Gebäudefläche bezogen etwa 0,40 Euro für Heizung und Warmwasser; für die Kühlung sind es etwa 0,02 Euro. Die Photovoltaikanlagen schlagen mit Brutto-Anschaffungskosten von etwa 40.000 Euro pro Gebäude zu Buche; die Akkus mit 24.000 Euro. Für Wärmepumpensysteme und Warmwasser-Pufferspeicher sind es 26.000 Euro. Der teuerste Einzelposten sind die Geothermieanlagen mit 41.000 Euro pro Objekt. Die 400-Volt-Ringleitung und die Steuerung kosten 15.000 Euro – alles jeweils ohne Planungskosten.

Wegen der Fördergrenze beim Mieterstromzuschlag werden die Solarmodule in Abschnitten installiert. Der Endausbau auf 500 Kilowatt ist für den Februar 2022 vorgesehen. Der Strom wird an die Mieter verkauft, und zwar zu einem Kilowattstunden-Mischpreis, der 90 Prozent des Grundversorgertarifs entspricht.

Das Bundeswirtschaftsministerium hat die „Energieinsel Petershagen“ zum Forschungsobjekt  auserkoren: Drei Jahre lang soll in der Wohnanlage systematisch gemessen werden, koordiniert vom Projektträger Jülich. Zusätzlich gibt es konkrete Informationen

Auch die Verkehrsanbindung der Wohnanlage mit fünf Gehminuten zur S-Bahn-Station Petershagen Nord trägt zur energetischen Nachhaltigkeit bei. Wer in der Petershagener Anlage eine Wohnung mieten will, kann sich übrigens allenfalls noch auf die Warteliste setzen lassen – alle Wohnungen waren jeweils vor Baubeginn bereits vergeben.

Alexander Morhart 

 

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