© john_Ioannidis auf pixabay
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Frost und Wetterextreme in Europa: direkte Antwort auf die Klimaerwärmung in Polarregionen

Kalte Frühlingsfroste nach warmen Wintern - diese Wetterextreme, Ernteausfälle und Starkregen sowie die schnellere Erwärmung in Nord- und Mitteleuropa stehen in unmittelbaren Zusammenhang mit extremer Klimaerwärmung in den Polarregionen.

Geowissenschaftler und Experten zeigen durch ihre Forschungsarbeit, Prognosen und Risikoabschätzungen, welche Klimazusammenhänge zwischen Europa und den Polregionen bestehen und wie sich Wetterextreme wie Hitzewellen und Starkregen in einer 2-4 °C-wärmeren Welt zeigen würden. Vom 23. bis 27. Mai treffen sich die Experten und Expertinnen beim Kongress der European Geosciences Union (EGU) im Austria Center Vienna.

Die Klima- und Polarforschung zeigen es auf: "Wir Menschen sind die Ursache für den schnellen Klimawandel und müssen deshalb auch zur Lösung des Problems werden. Der wichtigste Baustein, den wir dafür in der Hand haben, ist die Transformation des Umgangs mit der Natur und der Atmosphäre," so Prof. Dr. Thomas Jung, Vizedirektor des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), Leiter der Sektion Klimadynamik und Sprecher des Forschungsprogramms "Changing Earth - Sustaining our Future".

Jetstreams bringen Wetterextreme nach Europa

Die heimischen Landwirte und Gärtner leiden bereits unter den Auswirkungen der Wetterextreme: Kurz nach der verfrühten Blüte aufgrund der Wärme kommt der Frost, und mit ihm Schäden, welche die Natur im selben Jahr nicht mehr aufholen kann. Schuld daran ist der Mensch selbst, der Veränderungen herbeiführt, die sich anhand von physischen Indikatoren wie dem Rückgang des Permafrosts, dem Rückgang arktischen Meereises und des Volumens der Eisschilde auf Grönland und der Antarktis sowie den Temperaturen des Ozeans zeigen. "Diese vom Menschen gemachten Veränderungen wirken unter anderem über die Jetstreams direkt auf uns," erklärt Prof. Dr. Markus Rex, renommierter Polarforscher, Leiter der Sektion Physik der Atmosphäre am AWI und Koordinator der MOSAiC Expedition. Jetstreams, also sich dynamisch verlagernde Starkwindfelder, resultieren aus dem Temperaturkontrast zwischen den Polarregionen und den umliegenden wärmeren Breiten. Wegen der besonders ausgeprägten Erwärmung der Arktis verringert sich dieser Temperaturunterschied, der Jetstream der Nordhemisphäre kommt ins Schlingern und kann so warme Luftmassen tief in die Arktis führen, was zum Beispiel im vergangenen März zu einer ausgeprägten Hitzewelle in der Arktis geführt hat. Zur Überraschung der Wissenschaftler gab es fast zeitgleich auch eine extreme Hitzewelle auf der gegenüberliegenden Seite unseres Planeten tief in der zentralen Antarktis, wo dieser Effekt bisher nicht Erscheinung getreten war. "Auch wenn Hitzewellen in diesen antarktischen Breitengraden nach wie vor Minusgrade bedeuten, lagen die Temperaturen dabei mit nur noch -17°C um 30°C höher als der jahreszeitliche Mittelwert und um ganze 15°C höher als der bisherige Hitzerekord der betroffenen Region," erklärt Rex. Gerade im Spätwinter ist aber auch die Gegenbewegung im Schlingern des Jetstreams sehr relevant. "In den großen Schlaufen des Jetstreams kommt es vermehrt zu Kaltluftausbrüchen aus der Arktis bis in unsere Breiten und damit zu intensiven Kaltphasen in Mitteleuropa, Asien und Nordamerika", ergänzt der Polarforscher.

Starkregen als Folge der Wechselhaftigkeit der Jetstreams

Der im Norden schwächere Jetstream lässt auch unsere Wettersysteme weniger schnell ziehen. Dies trägt zu einer Zunahme von Extremwettersituationen wie Starkregenereignisse bei, wenn sich Tiefdruckgebiete festsetzen und zu tagelangem Niederschlag in der gleichen Region führen. Die Folgen sind massive Hochfluten in Mitteleuropa. Im Juli 2021 führte das Hochwasser bei der Eifel und dem angrenzenden rheinischen Schiefergebirge so zu mindestens 170 Todesopfern, 820 Verletzten sowie einem geschätzten Schaden von über 10 Mrd. EUR.

Doppelt so hohe Klimaerwärmung in Arktis - direkte Auswirkung auf Europa

"Die Arktis ist die Wetterküche Europas," erklärt Rex. "Derzeit erwärmt sie sich zwei- bis dreimal so schnell wie der Rest der Welt," so der Polarforscher. Während der dortigen Hitzewelle im vergangenen März stellte das AWI-Team Temperaturen von 20°C über dem langjährigen Schnitt fest, mit der Rekordniederschläge und eine enorme Erwärmung in der gesamten Arktis einher gingen. Im Jahresmittel liegt die durchschnittliche Erwärmung der Arktis bereits bei 2-4°C - also bereits deutlich über dem 1,5°C-Ziel für globale Mitteltemperaturen, das als maximal erträgliches Limit der globalen Erwärmung gilt. Durch diese ausgeprägte Verstärkung der Erwärmung in der Arktis verschwindet nicht nur das Meereis, dessen sommerliche Ausdehnung sich bereits halbiert hat. Auch die Eismassen auf Grönland schmelzen, was den Meeresspiegel global ansteigen lässt und damit den Lebensraum für die Hälfte der Menschheit bedroht, die derzeit in Küstenregionen leben. Der Welt-Klima-Rat betont, dass es keine Gewinner vom Klimawandel gibt und Nord- und Mitteleuropa besonders betroffen sein werden.

Storyline-Szenarien wagen Blick in die Zukunft und machen Klimawandel greifbarer

"Um den Klimawandel und seine Folgen für uns alle greifbarer zu machen, schauen wir uns an, wie das Wetter von heute in einer im Klimawandel vorangeschrittenen Welt wäre, also einer Welt, die im globalen Durchschnitt um 2 oder 4 °C wärmer wäre als vor der Industrialisierung," erklärt Jung. Schlüsselrolle in diesen Klimasimulationen nehmen auch hier die Jetstreams ein, die als Band durchgehender Winde in 10 km Höhe maßgeblich die Großwetterlage in Europa vorgeben. "Anhand der extremen Hitzewelle im Juli 2019, bei der in Deutschland mit 42°C Temperaturrekorde gebrochen wurden, sehen wir, dass wir schon für die Hitzewelle jetzt bei um 3°C heißeren Temperaturen liegen, als in der vorindustriellen Zeit. In einer um 4°C wärmeren Welt lägen wir bei einer solchen Hitzewelle bei 47°C also um 10°C wärmeren Temperaturen. Das ist vergleichbar wie ein Sommer in Dubai," erklärt Jung.

Ozonloch zeigt, dass gesetzliche Maßnahmen wirken

Dennoch gibt es Hoffnung, denn positive Beispiele zeigen, dass gesetzliche Maßnahmen wirken und sich die Natur zumindest in Teilbereichen wieder erholen kann. Nach der Entdeckung des Ozonlochs 1985 am Südpol wurden die Produktion der dafür verantwortlichen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) weltweit verboten. "Wir gehen davon aus, dass sich die Ozonschicht bis zum Ende des Jahrhunderts erholen wird," sagt Rex. "Leider könnte diese Erholung aber gerade in der Arktis durch Wechselwirkungen mit dem Klimawandel verzögert erfolgen oder im schlimmsten Fall in dieser Region sogar zunächst ganz ausbleiben."

1,5°C-Ziel: noch stärkere Transformation als Schlüssel zur Klimawende

"Derzeit sind die nationalen Ziele aller Länder der Erde leider nicht ausreichend, um das 1,5°C-Ziel zu sichern. Weder in der Quantität der Einsparungen von CO2 und Methan, noch in der Geschwindigkeit, in der die Ziele umgesetzt werden, sind wir auf Kurs," so Jung. Das bedeutet negative Rückkoppelungen, denn wenn die Gesamterwärmung der Erde über 1,5°C wird, steigen die Extremwetter, wie wir es auch in den gekoppelten Klimamodellen sehen, in ihrer Stärke an. Dürren, Waldbrände und Austrocknungen von Feuchtgebieten nehmen zu, die wiederrum die CO2-und Methan-Emissionen erhöhen und die Leistung der Natur, uns bei der Reduktion von CO2 zu helfen, nimmt ab. "Sprich, wir Menschen müssten dann noch mehr CO2 einsparen, um wieder sicher leben zu können, " erklärt der Klimaforscher. Übernutzung und Umweltverschmutzung darf daher nicht billig und bequem sein. Mit Hilfe der Transformation - damit sind Veränderungen in Technologien, Infrastrukturen, Konsum, Kultur und Politik gemeint, die ineinandergreifen und sich wechselseitig verstärken - setzt die EU im Green Deal auf CO2-Steuern und Maßnahmen zur Förderung der Resilienz der Natur sowie den Naturschutz. "Schaffen wir gemeinsam - auch durch Solidarität mit den ärmsten Ländern - den politischen Ehrgeiz, der nächsten Generation einen gesunden Planeten zu überlassen, können wir die Klimawende schaffen," hoffen Jung und Rex.



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Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /