© Steve Buissinne pixabay.com
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Neuer Reaktortyp macht Bioraffinerien effizienter

Aus Reststoffen der Land- und Forstwirtschaft sowie der Lebensmittelindustrie könnten in Zukunftwertvolle Rohstoffe für vielerlei Industrien werden.

Zellulose, Hemizellulose und Lignin werden über Bioraffinerieprozesse – u.a. mit Hilfe von Enzymen – in die gewünschten Rohstoffe umgewandelt. Doch die Prozesse sind teurer und langwieriger als die konventionellen Verfahren, die auf Erdölprodukten basieren.

Ein Team des Österreichischen Forschungsinstituts AEE INTEC hat im Projekt „Oscyme“ nun einen neuen Reaktortypen, den „oszillierenden Reaktor“, für biobasierte Verfahren weiterentwickelt. Er könnte die Verfahren deutlich schneller, effizienter und kostengünstiger machen und so zu einer Schlüsseltechnologie für die Bioraffinerie werden. Die Bioraffinerie eröffnet viele neue Möglichkeiten für nachhaltige Prozesse. An Ideen für Anwendungen fehlt es nicht. Wenn man Einfachzucker aus Zellulose gewinnen kann, könnte man diese zu Ethanol oder Isobuten vergären und als Biokraftstoff oder in der Pharmaindustrie einsetzen. Und aus Treber, der als Reststoff beim Bierbrauen anfällt, könnte man Proteine extrahieren, die sich vielseitig einsetzen ließen – vom Zusatz für Tierfutter bis zur Grundlage für vegane Bratlinge. Doch all diesen neuen Ideen und Prozessen ist gemeinsam, dass die Kosten noch deutlich sinken müssen, um eine breite Anwendung zu ermöglichen.

Der oszillierende Reaktor könnte dabei in vielen Fällen helfen: Er ermöglicht es, auch langsame Prozesse kontinuierlich zu fahren anstatt im Batchbetrieb, und er erlaubt einen deutlich höheren Anteil von Feststoffen als die bisher eingesetzten Reaktoren.

Im Projekt Oscyme hat das Team von AEE INTEC die enzymatische Verzuckerung (Hydrolyse) von Ausgangsmaterialien wie Zellulose und Hemizellulose untersucht. Die dabei gewonnenen C5- und C6-Zucker können zum Beispiel als Basis für Biokunststoffe oder Alkohole dienen. Der enzymatische Prozessist im Grundsatz nachhaltiger als chemisch-thermische Verfahren, da er bei niedrigen Temperaturen abläuft und ohne problematische Chemikalien auskommt. Doch seit Jahrzehnten sind die Kosten dieses Prozesses nur wenig gesunken. Dabei gibt es mehrere Knackpunkte: Der erste Kostenfaktor sind die eingesetzten Enzyme, denn diese sind teuer. Der zweite Kostentreiber ist die langsame Reaktion. Sie macht eine lange Verweildauer für die Partikel und damit einen großen Reaktor notwendig. Der von den Forscherinnen von AEE INTEC entwickelte „oszillierende Reaktor“ bringt in beiden Punkten deutliche Vorteile. Bisher findet die enzymatische Hydrolyse vor allem in Rührkesselreaktoren statt. Der Rührkesselreaktor ist in der Industrie weit verbreitet, vor allem wegen seiner Einfachheit. Doch er hat auch Nachteile, die sichbei dickflüssigen Suspensionen besonders bemerkbar machen. Die Durchmischung wird dann unzureichend und die Massenflüsse sind unstrukturiert.

Der Prozess wird dadurch schwer zu überwachen und zu steuern. Oft – und insbesondere in vielen biobasierten Prozessen – werden Suspensionen mit hohem Feststoffanteil daher zunächst verdünnt. Dafür sind zuerst große Wassermengen nötig und im Nachhinein zusätzliche Energie, um die Produkte wieder aufzukonzentrieren. Das klassische Gegenmodell zum Rührkesselreaktor, der Rohrreaktor mit Pfropfenströmung, scheitert dagegen daran, dass sich Durchmischung und Verweilzeit nicht gemeinsam optimieren lassen: Strömt das Fluid langsam und laminar durch den Reaktor, um eine hohe Verweilzeit zu erreichen, mischen sich die Partikel nicht genügend. Strömt es schnell und turbulent, müsste der Reaktor extrem lang sein, um eine auskömmliche Verweildauer zu erreichen. Der oszillierende Reaktor schafft eine Möglichkeit, die dem klassischen Rohrreaktor fehlt: Verweilzeit und Durchmischung können voneinander entkoppelt und jeweils für sich optimiert werden. Das geht so: Das Fluid strömt kontinuierlich durch den Reaktor.

Die Oszillationspumpe versetzt das Medium in Schwingungen. An Einbauten in der Röhre bilden sich kurzlebige Turbulenzen. Diese Faktoren sind so aufeinander abgestimmt, dass gleichzeitig eine überlagernde Pfropfenströmung erhalten bleibt. Der Clou ist also, dass im oszillierenden Reaktor so die Verweilzeit und die Partikelgeschwindigkeit voneinander entkoppelt werden können. Die Partikel können umeinander wirbeln und sich so gut durchmischen, während sie gleichzeitig in der Propfenströmung langsam und kontrolliert den Reaktor durchströmen. So ist der Prozess im Gegensatz zum Rührkesselreaktor gut zu überwachen und zu steuern.

Ein weiterer Vorteil: Der Prozess funktioniert sogar bei ziemlich dicken Suspensionen. Das Team von AEEINTEC hat die oszillierenden Reaktoren mit verschiedenen Konzentrationen von suspendierter α-Zellulosegetestet. Konzentrationen bis zu 18 % ließen sich problemlos behandeln – das entspricht etwa der Konsistenz von Kartoffelbrei. Gegenüber herkömmlichen Verfahren war somit eine Steigerung der Konzentration um den Faktor 3,5 möglich – um diesen Faktor könnte das Prozessvolumen also bei gleicher Prozessgeschwindigkeit kleiner ausfallen. Die Glukosekonzentration im Produkt war dementsprechend ebenfalls höher, und zwar um den Faktor 2 bis 4. Um die für die Bioethanolproduktion nötige Konzentration von 85 g/l zu erreichen, muss so keine Aufkonzentrierung mehr stattfinden.

In einem anderen Experiment zeigte sich, dass der oszillierende Reaktor vergleichbare Ergebnisse wie herkömmliche Reaktoren mit 80 % weniger Enzymeinsatz ermöglicht. Das könnte ebenfalls zu deutlichen Kostensenkungen im Verfahren führen. Die Einsatzmöglichkeiten des oszillierenden Reaktors sind breit gefächert und viele Unternehmen haben bereits Interesse bekundet. Verschiedene Folgeprojekte gemeinsam mit der Industrie sind in Vorbereitung.

Im nächsten Schritt muss der Reaktor auf die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Prozesse optimiert werden. Ein konkretes Folgeprojekt ist schon geplant. Dabei soll es darum gehen, Proteine mittels Hydrolyse aus Reststoffen zu gewinnen. Enzyme dafür einzusetzen, ist nur eine der Optionen, die untersucht werden sollen. Eine andere sind Ionische Flüssigkeiten – also spezielle Salze, die bei weniger als 100 °C schmelzen. Gemeinsam ist den Verfahren, dass sie auf vergleichsweiseteure Einsatzstoffe angewiesen sind. Hier kommen die Vorteile des oszillierenden Reaktors zum Tragen: Durch die lange Verweilzeit und gute Durchmischung auch bei hohen Feststoffanteilen wird es möglich, diese wertvollen Stoffe sparsam zu dosieren.

So könnte der oszillierende Reaktor zu einer Schlüsseltechnologie werden, die die Bioraffinerie sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch voranbringt.

DI Dr. Bettina Muster, AEE INTEC


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /