Harry Lehmann: An PtX kommen wir nicht vorbei

Portrait von Dr. Harry Lehmann, PtX-LabsFoto: Harry Lehmann
Dr. Harry Lehmann, Leiter des neuen PtX-Labs
Dr. Harry Lehmann leitete zuvor am Umweltbundesamt Fachbereich „Umweltplanung und Nachhaltigkeitsstrategien“. Jetzt baut er als dessen Leiter das neue „PtX Lab Lausitz – Praxislabor für Kraft- und Grundstoffe aus grünem Wasserstoff“ in Cottbus auf. Die Solarthemen sprachen mit ihm über Chancen und Anforderungen, die sich aus dem Ausbau von PtX-Technologien ergeben.

Solarthemen: Wie läuft es gerade mit dem Aufbau des Power-to-X-Labs, kurz PtX Lab? 

Harry Lehmann: Wir sind etwas später als geplant gestartet, weil der Haushaltsausschuss länger gebraucht hat, um die Mittel für den Strukturstärkungsfonds freizugeben. Aber nun haben wir bereits die ersten Mitarbeiter des PtX Labs eingestellt, die in die in Cottbus angemieteten Büros einziehen werden. Bis zum Ende des Jahres sollen weitere eingestellt werden, um dann nächstes Jahr auf die geplanten 60 Mitarbeiter zu kommen. Daneben wollen wir Konzepte für die Demonstrationsanlage, den Demonstrator, und auch speziell für deren Standort entwickeln. Daran arbeiten wir gerade.

Worin sehen Sie die wesentliche Aufgabe für das PtX Lab?

Das sind vier Aufgaben. Zunächst ist es ein Think Tank in der Region und über die Region hinaus auch in Eu­ropa, um den Markthochlauf für PtX-An­wendungen vor allem in Luft- so­wie Seefahrt und in der Chemie zu unterstützen. Das heißt, wir sind kein Forschungsinstitut, das neue Wege beschreitet, sondern arbeiten mit dem, was wir an Technologien heute haben, daran, größere Fortschritte bei der Markteinführung zu erreichen. Ich erinnere an das 100-Megawatt-Wind-Programm. Das war auch der Beginn eines Markthochlaufs. Ähnlich sehe ich die Rolle des Labs beim PtX-Hochlauf.

Der zweite wichtige Teil: wenn wir jetzt den Markthochlauf realisieren, dann muss es ein Gold-Standard sein. Wir sollten uns jetzt nicht durch einen nicht nachhaltigen Markthochlauf die Probleme von morgen schaffen. Drittens bedeutet der Gold-Standard außerdem, dass wir einen Demonstrator bauen werden, in dem zu zeigen ist, wie wir synthetischen Treibstoff für die Luftfahrt nachhaltig produzieren können und wie wir auch die Derivate, die im Fischer-Tropsch-Verfahren mit entstehen, möglichst schlau nutzen können. Und viertens haben wir auch die Aufgabe der Vernetzung und der Aufklärung der Bevölkerung und Marktteilnehmer. Viele wissen noch nichts von den Chancen, die PtX uns bietet.

Sie wollen auf Wasserstoff aus erneuerbaren Energien setzen, um daraus synthetische Treibstoffe und Grundstoffe zu erzeugen. Aber ist das mehr als ein grünes Mäntelchen angesichts der deutlich geringeren Kosten von aus Erdgas gewonnenem Wasserstoff?

Eine treibhausgasneutrale Zukunft lässt sich nur mit grünem Wasserstoff machen. Und es gibt zwei Sektoren, die gar keine andere Chance haben als synthetische Treibstoffe zu nutzen. Das sind die Luft- und die Seefahrt. Wenn wir weiterhin fliegen und globalen Handel haben wollen, müssen wir in beiden Sektoren einen Markthochlauf von Treibstoffen haben, die nachhaltig und treibhausgasneutral sind. Und hier sind meiner Meinung nach die synthetischen Treibstoffe, die auf erneuerbaren Energien basieren, oder die mit Direct-Air-Capture, also der Gewinnung von Kohlenstoff direkt aus der Umgebungsluft, laufen, die einzigen Lösungen. Die auf Biomasse basienden Treibstoffe sind höchstens eine Übergangslösung, weil wir global nicht genügend Fläche haben, um den Bedarf in der Luftfahrt damit zu decken.

Die Verfechter erdgasbasierter Lösungen werden sicherlich einwenden, dass die Kostenvorteile genutzt und das Kohlendioxid abgeschieden und stabilisiert bzw. gespeichert werden sollte.

Alle Studien, die sich mit den Klimaeffekten von Erdgas befassen, zeigen, dass allein die Gewinnung und der Transport von Erdgas schon einen großen Klimaeffekt hat. Wenn ich dann im nächsten Schritt das Erdgas spalte, um den Wasserstoff herauszuholen, habe ich immer noch das Problem, dass das Speichervolumen für das abgeschiedene Kohlendioxid sehr begrenzt ist. Erdgas zu nutzen kann keine klimaneutrale Option für die Treibstoffe sein.

Grüner Wasserstoff ist zwangsläufig mit der Frage des Potenzials erneuerbarer Energien verknüpft. Können wir hier in Deutschland ausreichend Solar- und Windstrom gewinnen, um ihn zu produzieren? Oder kommen Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe am Ende vor allem aus anderen Ländern?

Sowohl als auch. Wir müssen hier in Deutschland und in Europa die erneuerbaren Energien massivst ausbauen, deutlich mehr als momentan geplant ist. Das findet sich in allen seriösen Szenarien. Wir sollten Strom aus erneuerbaren Energien zunächst direkt nutzen für Mobilität, für die Heizung und weitere Anwendungsbereiche. Zusätzlichen Strom bzw. Überschüsse kann man dann für die Treibstoffproduktion verwenden. Für die Treibstoffe, gerade in der Luftfahrt, habe ich auch die glückliche Situation, dass ich die synthetischen Jet Fuels heute schon zu 50 Prozent herkömmlichem Kerosin beimischen kann. Das ist in der Luftfahrt bereits zugelassen. Gerade bei diesen Treibstoffen bietet es sich auch an, auf Quellen im Ausland zurückzugreifen.

Wo sehen Sie denn noch andere Anwendungsbereiche von PtX. Oder ist nur die Luftfahrt wesentlich?

PtX ist zunächst mal eine sehr offene Definition. Das X kann für Treibstoffe stehen, es kann auch direkt für Strom stehen. Oder anders gesagt: das kann Wärme über Wärmepumen sein oder Mobilität über Batterien. PtX ist das Kernelement einer treibhausgasneutralen Zukunft. Bestimmte Anwendungsbereiche müssen wir aber frühzeitig aufbauen, sonst haben wir sie in der nahen Zukunft nicht. Aus PtX kann ich auch Düngemittel machen. Es ist ein Konzept der Verkettung von Sektoren, das auf erneuerbaren Energien basiert.

Wie hoch ist denn das Potenzial, dass wir in Deutschland haben?

Das ist schwierig zu ermessen. Für einen Markthochlauf reicht es erstmal aus, damit wir größere Anlagen für PtL, also Power to Liquids, entwickeln können. Das Potenzial ist auch eng verknüpft mit der Frage der Priorisierung der Nutzung von erneuerbaren Energien. Was heißt das? Ich muss mir in der Zukunft, wenn ich auf Erneuerbare zurückgreife, überlegen, wo ich sie am besten einsetzen kann. Das ist aber nicht das alte Effizienzdenken nach dem Prinzip, die Technologien möglichst effizient zu machen. Nein, ich muss mich fragen, in welchen Sektoren ich wann welche Notwendigkeit an Erneuerbaren habe. Und da nutze ich sie als erstes. Das bedeutet dann, dass ich im Verkehrsbereich möglichst zuerst auf EE-Strom für Batterien und nicht auf synthetische Kraftstoffe für Dieselmotoren setze.

Das bedeutet aber auch, dass ich im Gebäudebereich auch priorisieren muss. Und da ist dann die Frage zu stellen, ob Strom für Wärmepumpen nicht deutlich besser ist als zunächst mit dem Strom Wasserstoff zu erzeugen, um ihn etwa in Heizungen zu verbrennen. Das hat auch damit zu tun, dass wir zwar weltweit sehr viel erneuerbare Energien haben, aber nicht genügend Rohstoffe. Ich habe dazu gemeinsam mit dem Umweltbundesamt und weiteren Kolleginnen und Kollegen einige Szenarien erstellt. Wenn wir gemeinsam mit allen Ländern einen Pfad gehen, um das Ziel der Pariser Weltklimakonferenz einzuhalten, dann werden wir in den ersten zehn Jahren drei- bis viermal mehr Kupfer brauchen als heute. Denn in einer Windkraftanlage mit einem Megawatt Leistung steckt etwa eine Tonne Kupfer. Hinzu kommt die Photovoltaik.

Die Ressourcen für einen weltweit massiven Ausbau sind derzeit noch nicht vorhanden. Das heißt, wenn ich eine klimaneutrale Lösung schaffen will, werde ich mit den erneuerbaren Energien sparsam umgehen und gleichzeitig bei den Rohstoffen, die ich für die Anlagen brauche, effizienter werden. Das ist einigen bekannt, anderen nicht unbedingt. Das heißt aber, dass wir eine nächste Generation der erneuerbaren Energie- Technologien schaffen müssen, inklusive des Müllproblems und des Recyclings.

Konkret nachgefragt beim Gebäudebereich, der bis 2045 klimaneutral werden soll: Es wird sehr schwer werden, alle Gebäude zu sanieren und auch die Wärmepumpe ist nicht für jedes Gebäude eine gute Lösung. Ist es denn da ein Weg, mit Wasserstoff oder synthetischem Gas in die Erdgasnetze zu gehen? Oder widerspricht genau das dem Effizienzgedanken?

Jein. Ja, es widerspricht dem Effizienzgedanken. Auf der anderen Seite werde ich Stromüberschüsse haben. Wenn ich zu einem hohen Anteil erneuerbarer Energien in Europa komme, dann werde ich Zeiten einer Überproduktion von Strom haben. Wobei man dies gar nicht als Überproduktion begreifen darf. Denn dies ist genau das, was wir für die Produktion von Wasserstoff und dessen Weiterverarbeitung nutzen können. Das Umweltbundesamt hat mit einem Fraunhofer-Institut auch schon einmal die saisonale Speicherung von Gasen untersucht. Es ging dabei um die Frage, wie man vorhandene Speichersysteme, darunter die bisherigen Erdgasspeicher, nutzen kann, um in einem 100-Prozent-Erneuerbare-Energien-System die Überproduktion, die ich zu bestimmten Zeiten habe, in andere Phasen, zum Beispiel einer Dunkelflaute, schieben zu können. Das geht. Davor steht aber: Erneuerbare ausbauen, Erneuerbare ausbauen, Erneuerbare ausbauen.

Was aber fällt dabei tatsächlich für den Gebäudebereich ab. Einige Stadtwerke hoffen, dass sie künftig Erdgas durch synthetisches Gas ersetzen können, um Heizungen weiterzubetreiben. Ist das ein gangbarer Weg?

Wenn ich mir die Energieeffizienz ansehe, dann nicht. Ich muss im Gebäudebereich möglichst viel sanieren. ich muss aber auch zu Gebäudegruppen und zu Quartierslösungen übergehen. Dafür gibt es schon gute Beispiele, so wie in Nordrhein-Westfalen in einigen von den 100 Klimaschutzsiedlungen. Ich gehe weg von den Einzelgebäuden und wende mich Siedlungen zu. Dann können etwa denkmalgeschützte Häuser, bei denen eine energetische Sanierung schwierig sein kann, von den umliegenden Gebäuden, die eventuell sogar Energie-Plus-Häuser sind, unterstützt werden. Und diese Plus-Häuser sind ja nichts Neues. Zum Beispiel der Architekt Rolf Disch hat die schon vor Jahrzehnten entwickelt. Eine Art Solidarität der Gebäude untereinander kann uns den Weg einfacher machen. Dann muss ich auch nicht alle Gebäude gleichzeitig sanieren. Für eine Siedlung muss ich allerdings früh ein Konzept haben und das schrittweise realisieren.

Über das Potenzial haben wir gesprochen …

Dazu direkt noch eine Bemerkung: Wir werden im Jahr 2050 immer noch sehr viel importieren. Selbst bei einem sehr großen Ausbau der Erneuerbaren on­shore und offshore werden wir Pi mal Daumen in etwa dieselbe Menge importieren müssen, die wir hier selbst produzieren. Wir kommen ohne einen Importmarkt nicht aus.

Und Importmarkt bedeutet dann die Einfuhr von Wasserstoff, der mittels Strom aus Erneuerbaren erzeugt wird, sowie weiteren synthetischen Stoffen?

Ja richtig, wobei ich dazu tendiere zu sagen, dass man weiterproduzierte Stoffe nutzen sollte. Hier in Europa werden wir Wasserstoff für Stahl und noch anderes brauchen. Und eigentlich ist es insgesamt billiger, ein direkt weiterverarbeitetes Produkt nach Europa zu transportieren. Es wird jedenfalls einen großen Importmarkt geben.

Aber wie können wir uns die Kostenentwicklung, sei es für Wasserstoff oder für Power to Gas oder to Liquid, vorstellen. Wie groß ist die Phantasie für die Kostenreduktion?

Vor der Klammer: Über Kosten rede ich nicht, wenn ich die Kosten des Klimawandels habe. Die jüngsten Studien des Umweltbundesamtes zeigen je Tonne Kohlendioxid-Emission gesellschaftliche Kosten von 180 Euro. Andere Studien kommen sogar auf höhere Kosten. Und ziehe ich diese Kosten heran, dann sind viele der als teuer bezeichneten Technologien heute schon kostengünstig.

Aber dennoch müssen die neuen Technologien ihre Lernkurven erst noch durchlaufen. Da gibt es durchaus unterschiedliche Erwartungen. Im schlimmsten Fall sind sie im Luftfahrtbereich viermal so teuer wie ein klassisches Jet Fuel. Im günstigsten Fall ist ein aus erneuerbaren Energien gewonnener synthetischer Treibstoff doppelt so teuer. Wenn man mit einer Quote zur Beimischung anfängt, was wir derzeit machen, dann ist der Anteil der Verteuerung erträglich – und er ist der Preis, den wir für weiteres Fliegen bezahlen müssen. Um es klar zu sagen: Die Preise für PtX werden sinken. Aber wir werden keine Zukunft haben, in der, selbst mit absolut billigen erneuerbaren Energien, Treibstoffe und Rohstoffe billiger würden als heute.

Welche strategischen Ansätze sollten wir verfolgen, wenn wir uns einer erneuerbaren PtX-Welt oder auch der alten Vision der solaren Wasserstoffwirtschaft aus den 80er Jahren zuwenden wollen?

Von Wasserstoff würde ich nicht mehr sprechen, sondern nur von PtX-Wirtschaft. Der Begriff des Wasserstoffs lenkt ab, denn er ist nur Teil des Ganzen. Nicht der Treib- oder Brennstoff ist wichtig, sondern die effiziente und effektive Nutzung der erneuerbaren Energien. Und wenn man dann an die Strategien herangeht, heißt das wieder, erneuerbare Energien auszubauen. Es bedeutet aber auch, dass wir Schlüsseltechnologien wie Wind und Photovoltaik – wieder – in Europa produzieren müssen. Das gilt auch für Elektrolyseure. Wir müssen diese Technologien weiterentwickeln – möglichst ressourcenschonend. Das ist auch Teil der Aufgaben unseres neuen PtX-Labs.

Sie haben zu Beginn das 100-MW-Wind-Programm angesprochen und darin auch einen Ansatz für das PtX-Lab gesehen. Dass sich dann aber die Windenergie in Deutschland nach dem 100-MW-Programm gut entwickelt hat, war das Ergebnis von geeigneten rechtlichen Rahmenbedingungen, also dem Stromeinspeisungsgesetz und dem Erneuerbare-Ener­gien- Gesetz. Wie ließe sich das auf PtX übertragen?

Die geeigneten rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen müssen wir in den nächsten Jahren realisieren. Zum Beispiel angepasste Steuern und Anrechenbarkeit auf die Treibhausgasbilanzen der Luftverkehrsgesellschaften. Wenn ein Unternehmen irgendwo in der Welt einen erneuerbaren synthetischen Treibstoff einkauft, muss der anrechenbar auf die einzuhaltende Quote sein. Das Regelwerk ist die eine Seite. Auf der anderen müssen wir einen garantierten Markt für die Produzenten schaffen. Das soll durch eine Quote erreicht werden. Und es wird in Europa ja auch eine Quote geben. In Deutschland haben wir eine Quote für PtL. Man kann über die Größe streiten. Ich habe für 2030 eine Quote von 5 Prozent vorschlagen, andere setzen sich für 10 Prozent ein. Momentan liegen wir weit darunter. Aber diese Quote und vor allem deren Anstieg schafft für die Investoren Sicherheit. Und dass die Quote steigen muss, ist klar, weil wir sonst unser Treibhausgasproblem nicht gelöst bekommen.

8.7.2021 | Interview: Andreas Witt
© Solarthemen Media GmbH

Beliebte Artikel

Schließen