© SES / Prof. Hermann Knoflacher bei der Fachtagung
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Offener Brief von Prof. Dr. Hermann Knoflacher

Evaluierung der ASFINAG-Projekte

Sehr geehrte Frau Bundesministerin BA Gewessler,

da mir mitgeteilt wurde, dass an Sie gerichtete Briefe im Ministerium nur selektiv an Sie gelangen sollen, habe ich die Form eines offenen Briefes gewählt. Das auch in Anbetracht der weitreichenden Bedeutung der Evaluierung der Projekte der ASFINAG.
Ich bedanke mich dafür auch im Namen des Forums Wissenschaft und Umwelt, dass jetzt eine solche Überprüfung endlich stattfindet. Eigentlich hätten mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Folgen eine Evaluierung bereits bei der Fortschreibung der Konzepte, wie dem so genannten „Masterplan Verkehr“ und „Gesamtverkehrsplan“ gemacht werden müssen, was nicht erfolgte. Vor allem wäre dabei auch das Bundesstraßengesetz aus 1971 auf seine Zweckmäßigkeit und inhaltliche Verfassungskonformität zu überprüfen gewesen. Das Bundesstraßengesetz, das von den Projektbetreibern wie eine Monstranz hoch gehalten wird, ist kein Naturgesetz, sondern die schon damals sachlich nicht begründete Auflistung der Wünsche der Bundesländer für die Übernahmen von Landesstraßen in die Bundeskompetenz. Daher wurde in der Folge auch eine provisorische Evaluierung unter dem Begriff „Dringlichkeitsreihung“ vorgenommen, die entsprechend dem damaligen, längst überholten Wissens- und Kenntnisstand und erheblichen methodischen Mängeln erfolgte. Die S1 ist zum Beispiel eine Übernahme der Vorstellungen des Dritten Reiches, die verkehrsplanerisch nicht notwendig war und ist. Daher fehlt sie auch im übergeordneten Straßennetz der Stadt Wien von 1983 bis 2000 und taucht erst danach unter verkehrsplanerisch und klimapolitisch nicht nachvollziehbaren Umständen – Wien hatte 1999 gerade das Klimaschutzprogramm Klip1 1999-2009, beschlossen, plötzlich auf.
Der nächste Anlass für eine Evaluierung hätte das ASFINAG-Gesetz 1982 sein müssen, mit dem tief in die Verkehrsstruktur eingegriffen wurde. Diese unterblieb auch 1997 vor dem „Fruchtgenussvertrag mit der ASFINAG“, ebenso beim Masterplan und leider auch beim Gesamtverkehrsplan. Dieser wurde von einem Vertreter des Infrastrukturministeriums unter der Prämisse „Tunnelprojekte werden nicht in Frage gestellt“ durchgeführt.

Nur eines von weiteren Beispielen, für die Unterlagen vorliegen, ist jenes der S34, das zeigt, dass die Umsetzung der notwendigen und dringenden klimapolitischen Verlagerungen von der Straße auf die Schiene nicht gelingen kann, wenn man parallele Eisenbahnlinien einstellt anstatt sie zu revitalisieren.
Sie betreten daher mit der Evaluierung einen sehr vorbelasteten Boden mit einem Untergrund, der sich über Jahrzehnte „entwickelt“ hat.
Um zu vermeiden, bzw. zu verhindern, dass die Evaluierung zur Farce wird, wie von vielen unabhängigen Wissenschaftlern und Sachverständigen, Bürgervertretern und Bewegungen wie Fridays for Future, aber auch dem Forum für Wissenschaft und Umwelt befürchtet wird, ersuche ich Sie, die Evaluierung in nachvollziehbarer Form offenzulegen.

Dazu gehören

1. die Liste aller an der Evaluierung beteiligten Personen,
2. die Offenlegung und Zugänglichkeit der verwendeten Daten,
3. die Angabe der Methode sowie
4. des Wertsystems.
Darauf haben die Bürger des Landes, die schließlich für alle Kosten und Schulden dieser Projekte aufzukommen haben, ein Anrecht.
Es sind dies die zunächst wichtigsten Punkte der Arbeiten, an denen Manipulationen leicht möglich sind und Einfluss auf die Ergebnisse genommen werden kann.
Nur eine von unabhängigen und nicht direkt mit den Projekten befassten Fachleuten durchgeführte Überprüfung entspricht dem Mindeststandard, den schon Hugo Portisch für den Journalismus mit „Check“ und „Double Check“ gefordert hat, also der Überprüfung der Prüfung. Umso mehr ist das hier notwendig, weil in Anbetracht der enormen nicht nur öffentlichen Mittel, sondern auch der weitreichenden Wirkungen dieser Projekte auf Klima, Natur, Lebensqualität, Wirtschaft und Zukunftssicherung, diese Vorgangsweise für verantwortbare Entscheidungen Voraussetzung ist.
Die Unbedachtheit vieler Beschlüsse und Entscheidungen in den vergangenen Jahrzehnten hat zu dem heute die Zukunft bedrohenden Notstand unserer Lebensgrundlage, der Natur, geführt. Nicht nur der Nationalpark Donauauen, die Ostregion insgesamt, sondern auch das Vorarlberger Ried und viele andere bereits bis auf das Existenzminimum reduzierten Naturgebiete werden durch diese Projekte in ihrem zukünftigen Bestand bedroht. Aus der Sorge darum ist die Grünbewegung entstanden.
Auch ist bewusst zu machen, dass Sie Frau Bundesministerin, für die Firma ASFINAG verantwortlich sind, die nicht nur ohne jedes Risiko, weil durch den Staat, also uns alle abgesichert und gewinngetrieben genau das macht, was die Klimakatastrophe beschleunigt: Naturzerstörung durch großräumige direkte und indirekte Bodenversiegelung, auf der in der Folge Treibhausgase in einem Umfang erzeugt werden, der das Erreichen der Klimaziele nicht mehr möglich macht. Auch die Folgen dieses Betriebes auf die Gesundheit und Lebensqualität der Bevölkerung werden auf die Steuerzahler „umgelegt“ und widersprechen damit dem Verursacherprinzip. Dieses ist aber eine Voraussetzung für jedes nachhaltige System. Österreich hat als Folge den pro Kopf höchsten Anteil an Autobahnen und Schnellstraßen aller vergleichbaren Staaten Europas und wendet auch den höchsten Anteil an seinem BIP auf.

Die Frage „Was dann?“, bei jedem der anstehenden Projekte beantwortet, sollte Ihre Entscheidungen erleichtern. Denn die von uns ausgelöste Klimakatastrophe entwickelt sich bereits schneller als die Bäume wachsen, die für unsere Zukunft lebenswichtig sind.
Ich ersuche Sie, sehr geehrte Frau Bundesministerin, die Zukunft unseres Landes auf Entwicklungspfade zurückzuführen, die nachhaltig, sozial- und klimaverträglich sind.

Mit freundlichen Grüßen,
em.o.Univ.Prof.Dipl.-Ing.Dr. Hermann Knoflacher am 7.7.2021


Artikel Online geschaltet von: / Lukas Pawek /