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Umweltbundesamt | Energie- und Verkehrswende

© Umweltbundesamt | Energie- und Verkehrswende | Entwicklung des EE-Anteils in den vergangenen Jahren

Energie- und Verkehrswende: Strom und Verkehr in aktuellen Zahlen

Eine kritische Analyse von Jörg Sutter

Betrachtet man die Ankündigungen – egal, ob aus politischem Munde oder von der Industrie -, dann steht die Umstellung auf eine „vollständig erneuerbare“ oder zumindest „CO2-neutrale“ Versorgung bald ins Haus. Doch betrachtet man die realen Zahlen, so kann sich Ernüchterung breit machen: Bis zu den gewünschten Zielen ist es noch ein weiter Weg. Insbesondere, wenn wir uns die derzeitige Perspektive beim Strom anschauen, der inzwischen zwar schon zu über 50 Prozent grün ist, aber im Ausbau schwächelt. Und bei der Elektrifizierung des Verkehrs hat sich in den vergangenen Jahren zu wenig bewegt.

Strom hat die Hälfte geschafft – erst!

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat seit dem Jahr 2000 dafür gesorgt, dass stetig (mal mehr, mal weniger) Photovoltaik, Wind und andere erneuerbare Energiequellen in Deutschland zugebaut wurden. Sowohl bei PV (aktuell 57 GW) als auch bei Wind (aktuell 56 GW onshore, 7,7 GW offshore)) haben wir inzwischen über 50 Gigawatt installierte Leistung realisiert. Das bedeutet: Es gibt heute schon Zeiten (Stunden oder mehrere Stunden nacheinander), in denen bei passendem Wetter der Stromverbrauch in Deutschland vollständig aus regenerativen Quellen gedeckt wird. Das beweist: Die Technik ist dazu in der Lage. Und auch die Regelung der Stromnetze ermöglicht eine erneuerbare Vollversorgung, ohne dass es zu Einschränkungen der Versorgungsqualität kommt. Im Gegenteil: Unter 12 Minuten lag im vergangenen Jahr die ungeplante Nicht-Verfügbarkeit von Strom im bundesdeutschen Durchschnitt.

Noch detaillierter zeigt energy-charts.de Stromerzeugung und aktuelle Erzeugungswerte.  Auch kann dort der aktuelle Leistungsverlauf der einzelnen Technologien nahezu live verfolgt werden.

Der Stromverbrauch steigt
Doch klar ist: Der Stromverbrauch in Zukunft wird zunehmen, es muss deutlich mehr zugebaut werden als bisher vorgesehen, gerade um auch das Ende des Kohlestroms und die Abschaltung der letzten AKWs im Dezember 2022 auszugleichen. Die bisherige, schon seit längerem kritisierte Abschätzung des BMWi für das Jahr 2030 hatte einen deutschen Jahresstromverbrauch von 580 Terawattstunden (TWh) prognostiziert, bevor der Bundeswirtschaftsminister die Prognose in diesem Juli korrigierte – auf 655 TWh. Unterstellt werden dabei im Jahr 2030 u.a. 14 Mio. Elektro-Pkw, 6 Mio. Wärmepumpen und 30 TWh Strom für grünen Wasserstoff. 

© Jörg Sutter | Stromverbrauch 2019 und Prognose für 2030

Es ist recht unabhängig davon, welche Stromprognose für 2030 oder 2040 man auf den Tisch legt: Der PV-Zubau muss massiv erhöht werden, mindestens 10 bis 15 GW pro Jahr müssen es sein. Die aktuellen 3,2 GW in den ersten 8 Monaten des Jahres 2021 reichen bei weitem nicht aus. Ausgerechnet das Gewerbesegment (mit großen verfügbaren Dachflächen) ist in den vergangenen Monaten nach Angaben des BSW um rund 40 Prozent Marktvolumen eingebrochen. Schuld daran: Die Politik, die (völlig konträr zum notwendigen Ausbau) den Firmen durch Ausschreibebürokratismus seit kurzem noch weitere unnötige Knüppel zwischen die Beine wirft. Und: Ja, es gibt nun selbst innerhalb der CDU die Erkenntnis, dass die erneuerbaren möglichst rasch ausgebaut werden müssen. Solange dies aber – wie aktuell geschehen – nur von einigen jungen Sympathieträgern vorgetragen wird und sich die bisherigen „Bremser“ aus den Reihen der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden oder der Wirtschaftsstaatssekretär dazu einfach überhaupt nicht äußern, hat das für mich persönlich nur wenig Wert. Und solange die Präsidentin des CDU-Wirtschaftsrates (der ja eigentlich gar nicht zur CDU gehört) meint, das Ziel der Klimaneutralität sei das teuerste Projekt in der Menschheitsgeschichte, erst recht nicht.

Wind muss vorankommen
Doch zurück zu den Zahlen und jetzt zur Windkraft, bei der es schlimmer als bei der PV aussieht: Im Bereich Offshore, also bei den Windanlagen vor der Küste im Meer, werden derzeit keine gebaut, gar keine! Schon seit Juli 2020 ist hier kompletter Stillstand. Neuprojekte sind in vernünftiger Größe erst wieder ab dem Jahr 2025 zu erwarten. Falls in der Statistik in diesem Jahr noch einige neuen Megawatt (MW) auftauchen, dann wegen Leistungsupdates an bestehenden Anlagen.

Dabei sind die neuen Anlagen in Offshore-Parks durchaus beeindruckend: Im Schnitt wurden im vergangenen Jahr Anlagen aufgebaut, die eine Leistung (pro Windrad) von 6,8 MW haben – das Ganze bei 105 Meter Nabenhöhe und 153 Metern Rotordurchmesser. Die obere Flügelspitze dieser Anlagen überragt inzwischen sogar die Höhe des Kölner Doms, der 157 Meter in den Himmel ragt. Und die Entwicklung zu größeren Maschinen geht weiter: Aktuell wurde für 2023 ein Windrad mit 16 MW Leistung und einer Gesamthöhe von über 250 Meter angekündigt.

Gleichzeitig kommt auch der Windausbau an Land nicht voran: Ja, wir haben heute rund 56 GW installiert, im vergangenen Jahr kamen aber brutto nur 1,4 GW hinzu. Zieht man davon noch die Anlagen ab, die als Ersatz für abgebaute Anlagen dienen, verbleibt ein viel zu niedriger Netto-Zubau von gerade einmal 1,2 GW im Jahr 2020. 100 Anlagen wurden so im vergangenen Jahr als Ersatz aufgebaut; dank der politischen Reglementierung u.a. in Bayern und NRW ist der Ausbau der neuen Anlagen zum Erliegen gekommen.  

Der Verkehr bleibt großteils fossil

Im vergangenen Jahr wurde die Rekordzahl von 194.000 Neuwagen als reine Elektroautos in Deutschland zugelassen. Doch bei insgesamt 2,9 Mio. neuen Fahrzeugen ist das zu wenig, um einen schnellen Wandel zu erreichen. Derzeit zeichnet sich ab, dass der Ausbau wieder am typisch deutschen klein-klein scheitern könnte: Aktuell werden vom Verkehrsministerium 1.000 neue Schnell-Ladesysteme ausgeschrieben, die Ausschreibung erfolgt in 15 einzelnen Losen und enthält eine Obergrenze für den Strompreis. Nebenbei sind die 1.000 neuen Schnelllader mit Leistungen bis 150/300 kW zwar vor allem für den Fernverkehr sinnvoll, aber nur ein Elektron auf den heißen Trafo der eine Mio. Ladepunkte, die derzeit politisches Ziel bis 2030 sind. Aktuell gibt es laut VDA nur 47.000 öffentliche Ladepunkte; um das Ziel zu erreichen müssten laut VDA 2.000 Stück errichtet werden – pro Woche.  

Und es ist zu befürchten, dass weitere verkehrliche Zukunftstechnik an uns vorbeigeht: Während Waywo in diesen Tagen den Taxibetrieb mit autonomen Robo-Taxis in San Francisco aufgenommen hat, haben die deutschen Firmen Bosch und Daimler verkündet, ihre Kooperation in diesem Bereich zu beenden. Vier Jahre wurde gemeinsam, jedoch eher halbherzig an dieser Technologie gearbeitet. 

Netze und Verknüpfung
Während der Ausbau der großen Höchstspannungsnetze mit den Trassen von Nord- nach Süddeutschland angelaufen ist, jedoch noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bis zur Fertigstellung braucht, rücken derzeit verstärkt die Verteilnetze in den Mittelpunkt der Diskussion: Für den Anschluss von PV- oder Windanlagen oder auch Schnellladepunkten werden hohe Anschlussleistungen benötigt. Wer einmal eine Schnell-Ladestation z.B. an einer Autobahn besichtigt, darf sich gerne einmal vor den Säulen stehend umdrehen und wird dann die dafür notwendige Trafostation mit Mittelspannungsanschluss erspähen, im Niederspannungsnetz können solche Anlagen nicht angeschlossen werden.

SONNENENERGIE 03/2021
© SONNENENERGIE 03/2021

Eine Unterstützung könnte die Digitalisierung bringen, doch auch da geht es ja nicht wirklich voran: Seit Jahren wird der Smart-Meter angekündigt und langsam eingeführt, doch technische Inkompatibilitäten und das Paukenschlag-Gerichtsurteil des OVG Münster haben es hier still werden lassen. Zudem: Eine Steuerung von Ladevorgängen mit SmartMetern der ersten Generation ist technisch nicht vorgesehen; diese Funktionen sollen erst später hinzukommen. Vermutlich wird die halbe Welt solargesteuert bidirektional laden können, bevor dies bei uns technisch und operativ in breitem Maßstab umsetzbar sein wird.

Mein Fazit
Es gibt also viel zu tun, beim Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung wie beim Ausbau der Elektromobilität und der Verknüpfung beider Techniken in den Stromnetzen. Eine große Liste an Aufgaben, nicht nur, aber vor allem für eine neue Bundesregierung.

Quelle

Der Bericht wurde von der Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. (Jörg Sutter) 2021 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | | SONNENENERGIE 03/2021 Das Inhaltsverzeichnis zum Download!

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