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© Depositphotos | Admusic | Am deutlichsten steigt der Investitionsbedarf bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, beim Ausbau der Verteilnetzte und bei der Eisenbahninfrastruktur. 

Jahresrückblick 2021 – Teil I: Erneuerbare vs. Fossile

Erneuerbare werden noch immer zu langsam ausgebaut. Und die Welt hat mit schwindelerregenden Gaspreisen, einer ernüchternden Klimakonferenz und grüngewaschener Atomenergie zu kämpfen. Ein Jahresrückblick von „energiezukunft“.

Zwar legte der Ausbau Erneuerbaren Energien in Deutschland in diesem Jahr zu, aber auch die fossilen Energieträger hatten (leider) ihre Erfolgsmeldungen – und das weltweit.

PV- und Windkraftausbau

Mit dem EEG 2021 wurden einige Erleichterungen für Eigenverbrauch und Mieterstrom in Deutschland geschaffen, aber auch die Ausschreibungspflicht für große Dachanlagen. Die positiven Effekte sind bei der Photovoltaik sichtbar: Der Zubau neuer Photovoltaikanlagen verlief stetig, rund 400 Megawatt wurden monatlich in Betrieb genommen mit leicht steigender Tendenz in der zweiten Jahreshälfte. Zum Jahresende könnte die kumulierte installierte Leistung in Deutschland bei knapp 60 Gigawatt liegen, was einem Netto-Zubau von rund sechs Gigawatt in 2021 entspricht. Die Ampelkoalition hat das Ziel, bis 2030 eine installierte PV-Leistung von 200 Gigawatt zu erreichen, dafür wäre ein Zubau von 15 Gigawatt pro Jahr notwendig, eine Verdreifachung des gegenwärtigen Tempos.

Depositphotos.com | mic1805
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Bei der Windenergie an Land geht die Fachagentur Wind davon aus, dass am Jahresende ein Bruttozubau von etwas mehr als zwei Gigawatt erreicht wird. Von dieser Zahl sind aber noch die rückgebauten beziehungsweise stillgelegten Anlagenleistungen abzuziehen. Verglichen mit den Vorjahren sind die Zubauzahlen für Windkraft an Land recht gut – absolut gesehen jedoch weit unter den notwendigen Mengen.

Erstmals seit mehr als zehn Jahren findet im Jahr 2021 in Deutschland kein Zubau bei der Windenergie auf See statt.

Bei der Nettostromerzeugung haben per Mitte Dezember Kohle, Gas und Atom zusammen einen Anteil von rund 53 Prozent, die Erneuerbaren Energien kommen auf rund 47 Prozent. Die Windkraft dominiert unter den Erneuerbaren mit einem Anteil von 23 Prozent, gefolgt von der Photovoltaik mit rund 11 Prozent. In Terawattstunden – der Menge des erzeugten Stroms – ausgedrückt, haben Windkraftanlagen rund 107 TWh, Photovoltaik etwa 50 TWh erzeugt und eingespeist. Die PV-Strommenge, die für den Eigenverbrauch ohne Netzeinspeisung genutzt wurde, beträgt rund 4 TWh.

Steigende Energiepreise

Mit dem Jahr 2021 wurde ein nationaler CO2-Preis auf Heizöl, Erdgas, Benzin und Diesel eingeführt. Die entsprechenden Energieträger wurden deshalb teurer. 25 Euro pro Tonne müssen die Unternehmen zahlen, die solche Produkte in den Markt bringen. 2022 wird dieser Preis auf 30 Euro steigen. Das Geld geht in den Energie- und Klimafonds, aus dem heraus Klimaschutzprojekte finanziert werden sollen.

Neben der vorhersehbaren Preissteigerung aufgrund des nationalen CO2-Preises hat zur Jahresmitte eine andere Preisspirale eingesetzt. Sie war zum Teil auf die gestiegenen Preise des europäischen CO2-Emissionshandels zurückzuführen, aber eine weitere Dynamik kam hinzu: Die Windernte im ersten Halbjahr war eher mau, deshalb wurde viel Strom mit fossilen Energieträgern erzeugt. Zur Jahresmitte stiegen die Gaspreise an den internationalen Märkten, wofür eine starke Konjunktur der Weltwirtschaft verantwortlich war. Die Gasspeicher in Europa waren zwar nicht leer, aber eben auch nicht so voll wie sonst zu dieser Jahreszeit. Üblicherweise kaufen die Energieversorger dann ihre Mengen für das Folgejahr, was den Markt zusätzlich anheizte. Das Preishoch hält weiterhin an, die Energiepreise auch für Endverbraucher steigen trotz der geringeren EEG-Umlage im nächsten Jahr.

Fossile Energieträger: Echter Ausstieg Fehlanzeige

Auch wenn der Passus zum Umgang mit der Kohleenergie bei der Weltklimakonferenz in Glasgow auf den letzten Metern noch einmal abgeschwächt wurde – aus einem „phase out“ wurde lediglich ein „phase down“ – sind sich Expert:innen sicher: Der weltweite Kohleausstieg ist eingeleitet. Die neue Bundesregierung will den Ausstieg „idealerweise“ auf 2030 vorziehen. Weitere Braunkohle- und Steinkohlekraftwerke gingen in diesem Jahr vom Netz. Portugal hat in diesem Jahr den Kohleausstieg sogar schon vollzogen.

In anderen Ländern wie China und Indien wird derweil neben Erneuerbaren Energien auch in neue Kohlekraftwerke investiert, um den steigenden Energiebedarf zu decken. Ein neuer Bericht der Internationalen Energieagentur zeigt: Weltweit wurde in diesem Jahr soviel Kohlestrom erzeugt, wie nie zuvor. Auch in Deutschland erlebte die Kohleverstromung nochmal einen Aufschwung. Vor allem bedingt durch Witterungsbedingungen am Anfang des Jahres, als es deutlich weniger Wind und damit Anteil an Windenergie gab als in den Jahren zuvor. Kohlekraftwerke mussten in diesem Zeitraum deutlich hochgefahren werden. Auch im Zuge steigender Gaspreise ab Mitte des Jahres wurde verstärkt auf Kohle als Energieträger zurückgegriffen.

Vor dem Hintergrund steigender Gaspreise wirkt die Debatte über die Zukunft des fossilen Energieträgers umso abwegiger. In Deutschland hielten große Teile der Großen Koalition an dem Gas-Pipeline Projekt Nord Stream 2 fest, mit dem Gas aus Russland über die Ostsee nach Deutschland transportiert werden soll. Auch in der neuen Ampel-Koalition setzt sich die SPD weiterhin für eine Inbetriebnahme der Pipeline ein, während Grüne und FDP dem kritisch gegenüberstehen. Im Koalitionsvertrag steht lediglich man wolle sich bei energiepolitischen Projekten an das europäische Energierecht halten.

Nord Stream 2
Nord Stream 2 (Bild: Pjotr Mahhonin, WikiCommons, CC BY-SA 4.0)

Das könnte einer Inbetriebnahme entgegenstehen. Die Bundesnetzagentur hat ein Zertifizierungsverfahren des Betreibers, der Nord Stream 2 AG, ausgesetzt, da diese nicht nach deutschem Recht organisiert ist. Darüber hinaus ist die AG über eine Tochtergesellschaft im Vollbesitz von Gazprom und damit eine offensichtliche Verflechtung zwischen Gaslieferant und Netzbetreiber gegeben. Genau das ist nach europäischem Energierecht nicht möglich.

Doch während die Europäische Union hier Gaslieferungen einen Riegel vorschieben könnte, will sie Gas-Projekte weiterhin ermöglichen. In einer neuen EU-Taxonomieverordnung, die Kriterien für nachhaltige Investitionen schafft, soll neben Atomkraft auch Gas übergangsweise als nachhaltig eingestuft werden. Auch ein Vorschlag für neue Gasmarktregeln und Energieinfrastrukturvorhaben seitens der EU-Kommission könnte die Energieversorgung aus Erdgas auf Jahre zementieren.

Dabei gab sich die Europäische Union auf der Weltklimakonferenz in Glasgow als Vorreiter bei der Beendigung fossiler Energieträger. Einem von der EU und der USA ausgearbeiteten Global Methane Pledge schlossen sich auf der COP rund 100 Länder an. Methanemissionen sollen bis 2030 um mindestens 30 Prozent im Vergleich zu 2020 verringert und verbindlich gemessen werden. Neben der Landwirtschaft entsteht Methan vor allem bei der Produktion und in den Lieferketten von Öl und Gas.

Greenwashing der Atomenergie

Der Anteil der Atomenergie an der Stromproduktion nimmt weltweit ab und beträgt noch etwas über zehn Prozent. In 33 Ländern weltweit laufen noch Kernkraftwerke –72 Prozent des globalen Atomstroms produzieren allein fünf Staaten: die USA, China, Südkorea Russland und Frankreich. Dabei kommt der World Nuclear Industry Status Report zu dem Ergebnis, dass Kernenergie auf dem heutigen Markt für den Neubau von Stromkapazitäten irrelevant ist.

Im Kampf gegen die Klimakrise wird die hochgefährliche und umweltfeindliche Energieform von etlichen Staaten jedoch als Klimaschutz verkauft. Zur diesjährigen Weltklimakonferenz COP26 im schottischen Glasgow hatten über 300 Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen aus aller Welt eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet – ein dringlicher Appell an die Weltgemeinschaft, dass Atomkraft im Kampf gegen die Klimakrise ungeeignet ist. „Jeder Euro, der in diesen veralteten Industriezweig gesteckt wird, bremst die Energiewende aus und vergrößert Probleme wie Unfallgefahren und die ungelöste Atommüllfrage“, sagt Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation ausgestrahlt. „Es muss verhindert werden, dass Steuergelder in diese unwirtschaftliche Risikotechnik fließen.“

Anfang des Jahres hat Frankreich die Laufzeit mehrerer seiner AKWs verlängert.Mit der Planung von EPR-Reaktoren befindet sich Frankreich seit vielen Jahren auf Crashkurs – zieht jedoch nicht die Notbremse. Der Bau EPR-Reaktors in Flamanville ist ein Dauer-Desaster. In China sind nun massive Probleme bei den einzigen EPR-Reaktoren, die bisher weltweit ans Netz gebracht werden konnten, bekannt geworden. Das könnte den EPR-Kurs endgültig beenden.

Nun planen Frankreichs Staatschef Macron als auch US-Präsident Biden Mini-Atomkraftwerke, sogenannte Small Modular Reactors (SMR). Auch in Polen und Estland sind neue AKWs geplant. Ein schwimmendes SMR läuft in Sibirien und auch der britische Konzern Rolls-Royce hat die Entwicklung von Mininuklearreaktoren angekündigt. Dafür sollen Mittel aus Großbritanniens Steuertopf für grüne Energien in dreistelliger Millionenhöhe bereitstehen.

Das Konzept verspricht kleine und vielfältig einsetzbare Reaktoren. Dabei sind SMR genauso wenig sicher wie herkömmliche AKW, produzieren ebenso radioaktive Abfälle und sind alles andere als klimafreundlich. Plutonium und angereichertes Uran sind zudem Technologien, die man für Atomwaffen benötigt. Erst vor kurzem hatte Macron eingeräumt, dass hinter den Atomplänen auch militärische Interessen stehen – denn ohne zivile Kernenergie keine militärische Nuklearmacht.

Transpi Atomkraft ist kein Klimaretter
Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen aus aller Welt warnen vor einem Greenwashing der Atomkraft. (Foto: Ivan Radic / Flickr / CC BY 2.0)

Deutschlands letzte Atomkraftwerke gehen zwar Ende 2022 vom Netz – doch die Nutzung von Atomkraft ist damit noch nicht Geschichte. Für einen vollständigen Atomausstieg müssten auch die Brennelementfertigungsanlagen Gronau und Lingen und alle Forschungsreaktoren stillgelegt werden, mahnt die NGO ausgestrahlt.

Die Suche nach einem sicheren Atommüll-Endlager steht in Deutschland wieder am Anfang. Große Mengen an schwach- und mittelradioaktiven Abfällen lagern oft ungesichert seit vielen Jahren in oberirdischen Zwischenlagern verteilt über ganz Deutschland und gammeln in Fässern vor sich hin – mit Gefahr für Mensch und Umwelt.

In Großbritannien endet bis 2030 die Betriebszeit etlicher AKWs. In diesem Jahr sind drei Kernkraftwerke vom Netz gegangen, berichtet die International Atomic Energy Agency (IAEA). Einige Reaktoren wurden früher als geplant stillgelegt, aus Sicherheitsgründen, wegen Schäden an der Anlage.

Gerade die Folgen der Klimakrise erhöhen das Risiko des Betriebs von Kernkraftanlagen enorm. Greenpeace hatte elf Atomkraftwerke in verschiedenen europäischen Staaten in einer Studie unter die Lupe genommen und festgestellt, dass keines der nuklearen Kraftwerke ein ausreichendes Konzept zum Schutz vor Naturkatastrophen hat. Das Umweltinstitut München fordert deshalb die Abschaltung gefährdeter Atomreaktoren in ganz Europa.

Und während das Atommüll-Problem nirgendwo auf der Welt gelöst ist, wird auf EU-Ebene darüber diskutiert, Atomenergie als grüne Investition einzustufen. Sie würde dann unter die Förderrichtlinien des Green Deals fallen und als ebenso nachhaltig gelten wie Erneuerbare Energien. Das Nachhaltigkeitslabel könnte die Geldschleusen für Atomkraft in Europa öffnen, Subventionen und Steuergelder in neue Atomkraftwerke fließen.

Vor allem Frankreich treibt das Ziel voran. Der Grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold – der nun nach Berlin ins Wirtschaftsministerium wechselt – bezeichnete die Ankündigung als „Super-GAU für Europas Energiewende“. Doch im Koalitionsvertrag der deutschen Ampel-Regierung findet sich darüber kein Wort. Bei ihrem Antrittsbesuch als Außenministerin in Frankreich machte Annalena Baerbock aber immerhin deutlich, dass es aus ihrer Sicht keine EU-Taxonomie mit Atomkraft geben könne. Der Deal könnte allerdings so aussehen, dass Deutschland dem Nachhaltigkeitslabel für die Atomkraft zustimmt und im Gegenzug Gas als nachhaltig einstufen darf. Die Entscheidung soll noch vor Weihnachten fallen.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion “energiezukunft“ (Nicole Allé, Julia Broich, Petra Franke, Manuel Först) 2021 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | energiezukunft | Heft 31/2021 | „Dezentral Erneuerbar – ein Update“ |  Jetzt lesen | Download

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