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Der Strompreis steigt – das meiste Geld fließt an die Falschen

Die Börsenstrompreise haben ein astronomisches Niveau erreicht. Die Gründe sind vielfältig. Ziemlich eindeutig und auch viel weniger überraschend ist, wer davon profitiert.

Meine Überraschung des Jahres 2021 ist leider nicht erfreulich. Jedenfalls nicht für mich. Und für viele andere auch nicht, die im gegenwärtigen Marktgeschehen keine Kohle- oder Atomkraftwerke betreiben.

Nun kann man sicher darüber streiten, ob steigende Energiepreise wirklich etwas Überraschendes sind. Ich hätte aber derartige Preisanstiege bei Strom und Gas noch von einem halben Jahr für unmöglich gehalten. Die stetige Aufwärtsentwicklung ließ sich über lange Zeit beobachten, trotzdem fühle ich mich seit einigen Wochen unangenehm überrascht.

Was ist da los an den Energiemärkten?

Seit Mai dieses Jahres befinden sich Strom- und Gaspreise im deutlichen Aufwärtstrend. Von 5,5 Cent kommend schien sich der Börsenpreis für eine Kilowattstunde Grundlast („Base“) für das Kalenderjahr 2022 im Oktober zunächst zwischen zwölf und 14 Cent einzuschwingen – und steht nun am Jahresende bei 22,6 Cent. Hinzu kommen enorme Preisschwankungen bei Termingeschäften von bis zu fünf Cent innerhalb eines Tages, und die Preisamplituden am untertägigen Kurzfristmarkt („Intraday“) umfassen längst hohe zweistellige Centbeträge.

Preistreibende Faktoren gibt es reichlich: gestiegene Energienachfrage durch anziehende Weltwirtschaft, steigende Preise für CO2-Zertifikate, Politik mit dem Gashahn und das lange Halten offener Beschaffungspositionen vieler Versorger in der Hoffnung auf sinkende Preise. Und dann muss Mitte Dezember auch noch Frankreich eine ganze Reihe seiner ach so zuverlässigen Atomkraftwerke in Wartung schicken – Sicherheit geht absolut vor, keine Frage.

Alles nachvollziehbare Einflussfaktoren, wenn auch im Einzelnen sicher sehr unterschiedlich zu bewerten. Nehmen wir aber den Preis selbst in den Blick.

Für 2023 und 2024 wird Strom viel günstiger angeboten

Vielleicht habe ich von Börsen zu wenig Ahnung. Folgendes Phänomen erklärt sich mir jedenfalls nicht: Die Kilowattstunde „Base“ für das Kalenderjahr 2023 kostet zurzeit 12,8 Cent, für das Kalenderjahr 2024 sogar nur neun Cent – weniger als die Hälfte des Preises für 2022.

Haben wir es also mit einem vorübergehenden Erzeugungsengpass zu tun, der im späteren Verlauf des kommenden Jahres bereits überwunden wird? Darf ich mich auf einen gewaltigen Zuwachs an erneuerbaren Energien freuen – immerhin gingen in der vergangenen Nacht auch noch drei Atomkraftwerke vom Netz?

Oder sinken die Preise wieder, weil der Energieverbrauch zurückgehen wird? Und warum? Weil wir die versprochenen Effizienzgewinne endlich realisieren oder weil hohe Energiepreise die Prosperität der Wirtschaft doch nachhaltiger dämpfen? Da werde ich mich wohl wieder überraschen lassen müssen.

Aber nochmal zurück zum Strompreis. Vielleicht könnte ja auch ein veränderter Preisbildungsmechanismus etwas Entlastungspotenzial entfalten? Für die Preisbildung an der Strombörse ist gegenwärtig die sogenannte Merit Order ausschlaggebend: Um die Stromnachfrage zu bedienen, werden so lange Kraftwerke zugeschaltet, bis die Nachfrage gedeckt ist. Die Reihenfolge, in der zugeschaltet wird, orientiert sich dabei an den Grenzkosten der Kraftwerke. So bestimmt an der Strombörse das Gebot für das teuerste Kraftwerk, das noch einen Zuschlag erhält, den Strompreis.

Die Merit Order hat für die Erneuerbaren noch nie Sinn ergeben, gegenwärtig treibt sie aber noch weit irrwitzigere Blüten. Wenn das Spitzenlastkraftwerk, das in der Merit Order regelmäßig den Preis setzt, ausgerechnet mit dem Brennstoff befeuert wird, den Russland gerade als politische Waffe führt, ist ein regelmäßig hoher Markträumungspreis nicht wirklich überraschend. Der Regulator könnte zum Beispiel diese Markträumung zum Einheitspreis abschaffen.

Klar muss aber auch sein, dass letztlich nur der Ausbau der erneuerbaren Energien den Einsatz teurer Spitzenlast verringern wird.

Nutznießer selbst geschaffener Probleme

Bei so viel Drehen an der Preisschraube fragt man sich unwillkürlich: In wessen Taschen steckt denn nun das ganze Geld? In denen von Herrn Putin ja eben gerade nicht, der liefert ja nicht. Bei Börsen denke ich zuerst an Spekulanten, und die gibt es natürlich auch an der Strombörse. Und auch wenn solche Akteure den Markt liquide halten, sollte der Gesetzgeber gut überlegen, welchen Finanzakteuren man in welchem Ausmaß Zugang ermöglicht.

Weiter fallen mir dann natürlich die Stromerzeuger ein. Alle, egal welcher Erzeugungsart, profitieren sie von einem Preisniveau, das ich längst nicht mehr für angemessen halte. Der Gesetzgeber könnte auf die Idee kommen, diese ungerechtfertigten Gewinne abzuschöpfen – das Geschrei dürfte aber durch die Bank als so groß werden, dass mich eine derartige Initiative tatsächlich überraschen würde.

Dennoch sind es auch in der gegenwärtigen Situation die exorbitanten Gewinne der Kohle- und Atomkraftwerksbetreiber, die mich einigermaßen fassungslos machen. Die konventionellen Energieunternehmen genießen die Auswüchse einer Preisbildung, die sich nicht an der Realität, sondern an ihren fossil-atomaren Betriebsbedingungen orientiert, sind also ein Stück weit Nutznießer der durch sie selbst geschaffenen Probleme.

Besonders die Atomkraft sonnt sich in der Gunst der Stunde und genießt einen goldenen Abgang – ein Szenario, für AKW-Betreiber eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Dass deren Träume wieder einmal – wenigstens ein letztes Mal! – wahr werden, macht mich zwar regelmäßig wütend, überrascht mich aber überhaupt nicht.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Sebastian Sladek) 2021 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

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