Energie-Genossenschaften entwickeln Zukunftsmodelle für Ü20-Solaranlagen

Zu sehen ist ein Mensch mit Geldscheinen vor einer Photovoltaik-Anlage, wie sie eine Energie-Genossenschaft betreiben kann.Foto: sima / stock.adobe.com
Energie-Genossenschaften können Ü20-Solaranlagen übernehmen und Beteiligungsmodelle für Bürgerinnen und Bürger entwickeln. Auch Energy Sharing ist möglich. Dabei teilen Genossenschaften den grünen Strom ihrer PV-Anlagen mit anderen Menschen.

Der Heidelberger Energie-Genossenschaft wird vor kurzem eine 20 Jahre alte Photovoltaik-Anlage mit 25 kW Leistung für einen symbolischen Euro angeboten. Sie ist auf einem Schuldach montiert. Von einem kostspieligen Umbau sieht Andreas Gißler ab: „Zu teuer“, so der Vorstand, der sich entschließt, die Anlage zu übernehmen und den Strom ins Netz einzuspeisen. Aktuell ist der Börsenpreis hoch. Die Heidelberger bekommen neun Cent pro kWh. „Als uns die Anlage angeboten wurde, lag er bei vier Cent“, so Gißler, dessen Übernahmeaktion veranschaulicht, wie sich der Markt für Ü20-Solaranlagen derzeit bewegt.

Sonnenenergie liefern in Deutschland vor allem Dächer. Vor rund 20 Jahren kommt durch das Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) die erste Solarwelle der Republik ins Rollen. Das Sonnenkraftwerk auf dem Dach des Ein- oder Zweifamilienhauses entwickelt sich zur vorrangigen Produktionsstätte. Was zaghaft beginnt – 1999 gehen bundesweit gerade einmal 2000 neue Photovoltaik-Anlagen in Betrieb – ändert sich mit dem Jahrtausendwechsel rasant. 2010 ist das Spitzenjahr für neue PV-Anlagen. Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) notiert eine Viertelmillion Sonnenkraftwerke, die allein in dem Jahr ans Netz gehen. Bis 2019 summiert sich die Zahl aller Anlagen in Deutschland auf 1,8 Millionen.

Neben vielen Privathaushalten, die auf Sonnenstrom setzen, organisieren sich in den 2000er Jahren immer mehr Bürgerinnen und Bürger genossenschaftlich. Die Energie-Genossenschaft kommt in Mode. So wie in Heidelberg. „Diese Bürgerkraftwerke lassen ihre Solarmodule meist auf kommunalen Dächern installieren“, berichtet Ulrich Müller, der viele Jahre Bürgermeister einer bayerischen Gemeinde ist und inzwischen beim Solateur ESS Kempfle aus Leipheim den Draht zu den Kommunen hält.

850 Genossenschaften für Ökostrom eingetragen

Im öffentlichen Register sind aktuell rund 850 Genossenschaften eingetragen, die umweltfreundlichen Strom produzieren. Sie nennen sich „Urstrom“, „Hunsrück-Sonne“ oder „Rabenkopf Bürger-Energie“ und füllen peu à peu seit 20 Jahren die Deutschlandkarte für erneuerbare Energieerzeugung. 80 Prozent davon sind Eigentümer und Betreiber meist mehrerer PV-Anlagen. In Summe haben die rund 250.000 Menschen, die sich in den Genossenschaften organisieren, vor allem durch Mitgliedsbeiträge, 3,2 Milliarden Euro investiert.

Wer die Zahlen verrechnet, kommt auf ein durchschnittliches Investitionsvolumen von 3,7 Millionen Euro pro Vereinigung. Wobei Benjamin Dannemann vom Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) in Berlin beim Einordnen hilft: „Es gibt etliche kleine Einheiten mit drei oder vier Anlagen“. Diese rangieren am unteren Ende der Skala. Oben stehen Zusammenschlüsse mit mehreren Dutzend Kraftwerken. Diese betreiben neben Photovoltaik-Anlagen meist auch Windenergie-Anlagen, Wasserwerke oder Biogasanlagen.

Zu den großen der Szene gehört etwa die erwähnten Heidelberger Energie-Genossenschaft, die mehr als 20 Solarprojekte mit einer Gesamtleistung von 2,6 MW hat und die Altanlagen ins Portfolio aufnimmt. Oder „BEG-58“, die in NRW auf der Achse Bochum-Hagen 128 PV-Anlagen betreiben und damit Strom für 1100 Haushalte erzeugen (4,3 MW). „Immerhin 3,5 Prozent der regenerativen Stromerzeugung in Deutschland, die aktuell mit 8,8 Terrawattstunden beziffert wird, stammt aus gemeinschaftlichen Strukturen“, sagt Solar-Experte Müller.

Bei einer Energiegenossenschaft mitmachen kann im Prinzip jeder: Menschen, Firmen, Kommunen oder Vereine. Der Preis für einen Anteil liegt meist bei 250 Euro. „Es gibt auch Genossenschaften, die starten mit 50 Euro pro Anteil“, so Dannemann. Wem die Anlage auf dem eigenen Dach zu kostspielig ist – oder wer gar kein eigenes Dach hat – der kann für einen überschaubaren Betrag Teil der Energiewende sein.

Energie-Genossenschaft entwickelt Beteiligungsmodelle für Ü20-Solaranlagen

Die EEG-Förderungen für die ersten PV-Anlagen endeten bereits vor mehr als einem Jahr. Jährlich fallen daher ab jetzt immer mehr Kraftwerke aus der staatlichen Hilfe. 2025 werden die ersten Genossenschaften betroffen sein, sagen die Experten beim DGRV. Diese Ü20-Anlagen sind jedoch meist noch gut in Schuss – bestätigen etliche Betreiber. „Abschalten wäre Quatsch“, sagt Müller, der als erfahrener Schultes auf die klammen Kassen vieler Städte und Gemeinden verweist.

Weil Energiegenossenschaften bis heute auf öffentlichen Dächern Solaranlagen festschrauben, verfolgt der Leipheimer die Idee, Ü20-Solarkraftwerke zu übernehmen. „Nach Instandhaltung könnten daraus Beteiligungsmodelle für Bürgerinnen und Bürger werden“, sagt Müller. Diese Variante ähnle dem Mietstrommodell, bei dem auf Mehrfamilienhäusern Solarkraftwerke installiert werden. Der da gewonnene Strom, der meist ein Viertel des Bedarfs abdeckt, wird günstig an die Bewohnerinnen verkauft.

Der Umweg über das Stromnetz und damit verbundenen Kosten für Netzentgelte und Stromsteuer entfallen. Die produzierte Energie wird direkt vor Ort verbraucht. Beim Beteiligungsmodell würden allerdings nicht Unternehmen, sondern allein die Bürgerschaft vom günstigen Strom profitieren. Ein nachvollziehbarer Ansatz, mit Blick auf den Russland-Ukraine-Krieg, der Energiepreise nach oben treibt.

Energy Sharing mit Altanlagen

Eine andere Idee liefert das EU-Konzept „Energy Sharing“. Demnach könnten Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften aus kommunalen sowie Bürgerenergie-Akteuren als Stromanbieter auftreten. Innerhalb eines Umkreises von 50 Kilometer um eine Solaranlage könnte solch eine Gemeinschaft ihre Mitglieder mit Strom aus eigener Produktion versorgen.

Was ein bisschen nach kaufen von Bio-Gemüse klingt – man möchte wissen, wo es herkommt – folgt der Idee, dass private Haushalte oder Energiegenossenschaften, ihre Dächer nutzen, um dort grünen Strom mit einer eigenen PV-Anlage zu erzeugen, vor Ort zu nutzen oder mit anderen Menschen (in einer Gemeinschaft) zu teilen.

Zudem könnte Energy Sharing Geld sparen. So sollen, wie beim Mietstrommodell, Nebenkosten verringert oder Prämien gezahlt werden, wenn Strom zeitgleich zur Produktion verbraucht wird. Einen weiteren Vorteil kennt Müller: „Die Energy-Sharing-Gemeinschaften könnten günstigere Tarife kalkulieren als andere Stromanbieter“.

Bei Bürgerwerke aus Heidelberg wiederum sind 104 Energiegenossenschaften organisiert. Sprecher Christopher Holzem sagt: „Der Generationswechsel bei den Anteilseignern, wie auch bei den PV-Anlagen, läuft“. Die Überalterung trifft etliche Genossenschaften, die um jüngere Teilhaber werben und diese finden. „Frischer Wind und Diversität sind spürbar“, so Holzem, dessen Bürgerwerke Workshops zu dem Thema „Nächste Generation“ veranstalten.

Thema ist dann auch das Ertüchtigen (Re-Powering) alter PV-Anlagen. Wobei der Trend Richtung Vergrößern und in den zurückliegenden zwei Jahren teils zum Fusionieren geht. Etwa wenn zwei benachbarte Energiegenossenschaften eine Einheit bilden wollen. Zudem wird überlegt, Ü20-Solaranlagen durch neue, leistungsstärkere zu ersetzen und die Portfolios zu erweitern. Das Rechenbeispiel lautet: Sechs Altanlagen werden durch zwei neue ersetzt oder ergänzt, was bis zu einer Verdreifachung der produzierten Strommenge führen kann.

11.6.2022 | Quelle: ESS Kempfle | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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