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Depositphotos | nils.ackermann.gmail

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Wie die chemische Industrie Klima schützen und Arbeitsplätze schaffen kann

Noch ist die Produktionsweise von BASF, Bayer und Co. sehr Treibhausgas intensiv. Dabei könnten mit bereits vorhandenen Technologien in erheblichem Maße Arbeitsplätze gefördert und Klima geschützt werden, wie eine neue Analyse aus Japan zeigt.

Ob BASF, Bayer, Fresenius oder Henkel, Deutschland ist eines der führenden globalen chemischen Industriestandorte. Gemessen am Umsatz findet sich Deutschland mit einem globalen Anteil von 4,3 Prozent auf Platz vier wieder, wie der Verband der Chemischen Industrie für 2021 ermittelt hat. Übertroffen nur von Japan, den USA und China, das einen alleinigen Umsatzanteil von 43 Prozent trägt. Der mit Abstand größte Chemiekonzern weltweit ist jedoch seit mehreren Jahren unangefochten BASF, mit einem Umsatz von 86 Milliarden US-Dollar allein im letzten Jahr.

Wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand verdankte die BASF auf Jahre billigem russischem Gas, für dass das Unternehmen selbst Projekte mit Russland vorantrieb und damit mitverantwortlich für die deutsche Abhängigkeit ist. Und über die Tochtergesellschaft Wintershall DEA, macht BASF weiter Profite mit russischem Gas und Öl. Die BASF war einer der ersten Firmen, die vor verheerenden wirtschaftlichen Folgen bei einem Stopp russischer Gaslieferungen warnte. Laut Zahlen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ist der Industriesektor mit 36 Prozent Hauptabnehmer von Gas. Dem Branchenverband Zukunft Gas zufolge entfällt davon allein ein Drittel auf die Chemieindustrie, wie etwa petrochemische Prozesse in Ludwigshafen zur Herstellung von Plastik.

Zwar wurden die Produktionsprozesse in Ludwigshafen in den vergangenen Jahren effizienter gestaltet, aber da man sich bis Februar dieses Jahres auf russische Gaslieferungen verließ, setzte man für den Primärenergiebedarf weiter vorrangig auf Gas. So wie bei den meisten chemischen Industrieprozessen weltweit, setzt BASF damit weiter auf fossile Brennstoffe. Wie Analysten des Beratungsunternehmens Systemiq und dem Center for Global Commons an der Universität Tokio innerhalb eines neuen Berichts mitteilen, verursacht die chemische Industrie rund vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen.

Der Verbleib auf dem Status Quo wäre fatal

Laut Bericht der Expert:innen von Systemiq, einer internationalen Beratungsfirma, die sich für nachhaltigere Wirtschaftsprozesse einsetzen, sowie den Forscher:innen der Universität Tokyo, würde der Verbleib der chemischen Industrie auf dem Status Quo bis 2050 eine globale Erwärmung von vier Grad Celsius verursachen. Auch die Umwelt würde weiter leiden. 41 Prozent des aus der chemischen Industrie hergestellten Plastiks landet in der Umwelt oder wird verbrannt. 57 Prozent der chemisch produzierten Dünger werden nicht von Pflanzen aufgenommen, sondern landen ebenso in der Umwelt. Ohne die chemische Industrie wird es entsprechend auch anderen Industriezweigen schwer fallen höhere Klima- und Umweltschutzambitionen durchzusetzen.

Die Verfasser:innen des Berichts sehen die Chemieindustrie an einem Scheideweg. „Ohne Veränderungen könnte die Chemieindustrie ihre Daseinsberechtigung verlieren. Zugleich sind die Herausforderungen immens und es ist der Sektor mit den größten Schwierigkeiten Treibhausgasemissionen zu verringern“, sagt Paul Polman, Mitbegründer von Systemiq und zuvor unter anderem Vorstandsvorsitzender eines der größten Hersteller von Verbrauchsgütern weltweit, Unilever.

Die Expert:innen des Berichts fordern vor allem den schnellen Umstieg auf grünen Wasserstoff, der könnte speziell Entwicklungsländern zum wirtschaftlichen Aufschwung verhelfen, indem dort grüner Wasserstoff, etwa aus Solarenergie, produziert wird und neben dem Export zu neuen chemischen Industriestandorten vor Ort verhelfen könnte. Anfang der Woche wurde bekannt, dass in Namibia mittels Solarmodulen 2024 die erste grüne Wasserstoffproduktion auf dem afrikanischen Kontinent in Betrieb gehen wird. Zudem könnte die Industrie bis Anfang der 2040er Jahre CO2-negativ und bis 2050 eine CO2-Senke werden, indem sie CO2 aus der Luft und Biomasse zur Herstellung von Kunststoffen verwendet und das CO2 am Ende des Lebenszyklus unterirdisch speichert. In diesem Zuge müsste eine Ausweitung von CCS zur Abscheidung von Restemissionen aus Produktionsprozessen und End-of-Life-Chemikalien erfolgen.

Deutlich mehr Gewinn und Arbeitsplätze

Für die radikalen Veränderungen seien 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr bis 2050 nötig, so Systemiq und das Center for Global Commons in Tokyo. Das seien jedoch Peanuts im Vergleich zu den jährlichen Gewinnen der Chemieunternehmen. Zudem würden die Firmen so ihre Einkünfte von heute 4,7 Billionen US-Dollar bis 2050 verdoppeln. In der chemischen Produktion würden 11 Millionen neue Jobs entstehen, in den davon abhängigen Industriebetrieben 18 Millionen zusätzlicher Arbeitsplätze.

Für eine nachhaltige globale Wirtschaft sei die Chemieindustrie entscheidend, wie die Expert:innen anhand zweier Beispiele aufzeigen. Für eine nachhaltig Schifffahrt etwa, müsste die Chemieindustrie die Produktion von Ammoniak radikal ausbauen (Plus 440 Prozent) und es bedarf deutlich mehr Methanol (Plus 330 Prozent), um die Plastikproduktion frei von fossilen Brennstoffen zu machen. Zugleich mahnen sie eine deutlich verbesserte Kreislaufwirtschaft an, die den Gebrauch von Chemikalien insgesamt um 31 Prozent reduziert.

Profitables Energiesystem

Untermauert werden die Erkenntnisse von Systemiq und dem Center for Global Commons von einer neuen Studie der Oxford Martin School an der University of Oxford, die zeigt, dass ein fossilfreies Energiesystem 2050 möglich ist, mit einem massiven Ausbau der grünen Wasserstoffproduktion, sowie Windkraft und Solarenergie zur Stromproduktion, mit zusätzlichen Energiespeichern und elektrisch betriebenen Fahrzeugen. Und dieses klimaneutrale Energiesystem sei nicht nur möglich sondern auch profitabel, wie die Forscher:innen aus Oxford aufzeigen.

Eine rapide Transformation zu Erneuerbaren Energien würde demnach zu verringerten Kosten des Energiesystems führen im Gegensatz zum Weiterbetrieb mit fossilen Brennstoffen. Zudem könnte mit einer Transformation der Energiezugang für mehr Menschen erleichtert werden. Mindestens 12 Billionen US-Dollar könnte die Welt mit dem rapiden Ausbau Erneuerbarer Energien bis 2050 sparen, so die Wissenschaftler:innen aus Oxford.

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„Der Ausbau grüner Schlüsseltechnologien wird deren Kosten weiter verringern und je schneller wir sind, desto mehr können wir sparen. Der beschleunigte Übergang zu Erneuerbaren ist jetzt die beste Wahl, nicht nur für unseren Planeten, sondern auch für die Energiekosten“, sagt Dr. Rupert Way, Hauptautor der Studie.

Um der Industrie in Deutschland bei der Transformation unter die Arme zu greifen, hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Anfang des Jahres angekündigt, die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen für die Bereitstellung von sogenannten Klimaschutzdifferenzverträgen (Carbon Contracts for Difference) zu schaffen. Diese sollen der Industrie einen verlässlichen Förder- und Investitionsrahmen für den Einstieg in klimaneutrale Produktionsverfahren geben. Doch ein ausgestalteter Gesetzgebungsvorschlag lässt auf sich warten.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion “energiezukunft“ (mf) 2022 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | energiezukunft | Heft 32/2022 | „Mobilität im Wandel“ |  Jetzt lesen | Download

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