© silviarita auf pixabay
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Barometer zur Biodiversitätspolitik: Stagnation im Artenschutz

Expert_innen sehen zu wenige und zu kleine Fortschritte bei Ansätzen gegen Biodiversitätsverlust

Wien – Anlässlich des fünften Forums zu Biodiversität und Ökosystemleistungen stellt der Österreichische Biodiversitätsrat neuerlich seine Einschätzung der Biodiversitätspolitik in Österreich in Form des Biodiversitäts-Barometers 2022 vor: 27 Expert_innen evaluierten jene politischen Pläne und Aktivitäten, die zum Stopp des Artenverlusts führen sollen. Das Jahr 2022 zeigt eine Stagnation in der Fortführung der politischen Agenden zum Schutz der biologischen Vielfalt. Nur wenige kleine Schritte zeigen in die richtige Richtung, große Maßnahmen – wie in der schon vor einem Jahr entworfenen Biodiversitätsstrategie 2030 skizziert – lassen nach wie vor auf sich warten.

Nach mehrjähriger COVID-19-Pandemie nehmen im Jahr 2022 neue politische Krisen sowie daraus resultierende Energie- und Wirtschaftskrisen die Ressourcen der Regierung voll in Anspruch. Klima- und Biodiversitätskrise sind in den Hintergrund gerückt, schreiten jedoch rasant voran. Die sensiblen Ökosysteme in Österreich reagieren auf die Umweltveränderungen besonders rasch und sind häufig nicht mehr wiederherstellbar. Bereits zum dritten Mal evaluiert der Österreichische Biodiversitätsrat die jährlichen Aktivitäten der politisch Verantwortlichen auf ihre Auswirkungen, ob sie das Artensterben und den Verlust der biologischen Vielfalt aufhalten werden können.

Politisches Engagement ausgebremst

Der Gesamtblick auf das „Barometer zur Biodiversitätspolitik in Österreich“ zeigt, dass „2022 bedauerlicherweise in 14 von 19 Punkten unserer Kernforderungen Stillstand eingekehrt ist“, so ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Irmgard Greilhuber, Botanikerin an der Universität Wien und Mitglied des Leitungsteams des Biodiversitätsrates. „Letztes Jahr hatten wir bei Aktivitäten wie beispielsweise der Vorlage der Biodiversitätsstrategie 2030, deren Ziele uns sehr ambitioniert erschienen, noch große Hoffnung, dass der Mut zu tiefgreifenden und raschen Maßnahmen gefunden würde. Nachdem die Biodiversitätsstrategie bis heute nicht beschlossen wurde, befürchten wir, dass das politische Engagement durch Widerstand verschiedener Interessensgruppen neuerlich gebremst wurde.“

Die Verankerung des Biodiversitätsschutzes in allen politischen Handlungsfeldern ist nach wie vor nicht erfolgt. „Aufgrund der Dringlichkeit, dem Verlust der Biodiversität und damit unserer Lebensgrundlagen Einhalt zu bieten, möchten wir den politisch Verantwortlichen eine ganzheitliche Herangehensweise mit Verknüpfung der relevanten Ministerien nahelegen“, ergänzt Assoz. Prof. Mag. Dr. Alice Vadrot, Politikwissenschafterin an der Universität Wien und Mitglied des Leitungsteams des Biodiversitätsrates. „Ohne Bundesrahmennaturschutzgesetz ist es nach wie vor schwierig, österreichweite Maßnahmen umzusetzen. Naturräume enden jedoch nicht an der Landesgrenze.“

International aufschließen und Transparenz schaffen

Die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 sieht einen effektiven Schutz von 30 Prozent des Landes und von 10 Prozent der terrestrischen Flächen vor. Auch in Österreich sind diese Ziele umzusetzen, wobei hier massiver Aufholbedarf besteht: „Im September 2022 hat die Europäische Kommission Österreich dazu aufgefordert, die Umsetzung der EU-Naturschutz-Vorschriften in nationales Recht zu verbessern, weil Österreich viele erforderliche Maßnahmen noch nicht umgesetzt hat,“ betont Assoz. Prof. Mag. Dr. Andreas Tribsch, Evolutionsbiologe am Institut für Umwelt und Biodiversität an der Paris-Lodron Universität Salzburg. „Die Umsetzung der EU-Naturschutzdirektiven verläuft hierzulande viel zu langsam. Bemühungen zum Artenschutz schneiden hier besonders schlecht ab.“ „Für einige Flagship-Species (z.B. Feldhamster, Schwarzspecht, Bachforelle, Ziesel) sind nationale Artenschutzprogramme dringend notwendig,“ ergänzt Ass.-Prof. Dr. Thomas Wrbka vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien. „Wir fordern daher eine stärkere Koordination der Natura 2000 Richtlinie auf Bundesebene sowie eine Vernetzung mit den Nachbarländern. Ein flächendeckendes europäisches Biodiversitäts-Monitoring-Programm, das den Erfolg gesetzter Schutzmaßnahmen überprüft, ist einzurichten,“ setzt Andreas Tribsch fort. Alice Vadrot dazu: „Auch das Transparenzgesetz zur Überprüfung der Auswirkungen von Investitionen und Gesetzen auf die Biodiversität muss verabschiedet werden.“ Im Regierungsprogramm wird dazu ein Klimacheck beschrieben. Biodiversität kommt darin jedoch nicht vor, müsste aber ebenfalls berücksichtigt werden.

Forschung ohne Mittel

Ein weiteres vom Biodiversitätsrat gefordertes Instrument zur Förderung der Biodiversität in Österreich, der nationale Biodiversitätsfonds, wurde 2022 mit EUR 80 Millionen gestartet, doch ist die Dotierung, welche für den Zeitraum von vier Jahren vorgenommen wurde, weit von der geforderten Milliarde Euro entfernt“, erklärt Assoz. Prof. Mag. Dr. Franz Essl, Ökologe an der Universität Wien und Mitglied des Leitungsteams des Biodiversitätsrates. „Wir begrüßen, dass der Biodiversitätsfonds einen Fokus auf die Finanzierung von Schutzmaßnahmen legt. Allerdings ist es essentiell, auch Forschungsaktivitäten mit diesen Mitteln zu fördern, da die Ressourcen für Biodiversitätsforschung äußerst knapp sind.“

Wissenschaft macht Angebot

Nach wie vor sind weder ein wissenschaftlicher Dienst im Nationalrat, noch, wie beispielsweise in Deutschland, ein offizieller Umweltrat installiert. Bei der Klimakrise ist dieser Schritt vollzogen und man nimmt die Stimmen aus der Wissenschaft ernst. Der österreichische Biodiversitätsrat hat sich aus der tiefgreifenden Sorge formiert, dass der weltweite Artenschwund weiterhin nicht ernst genommen wird. „Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind für die Prioritäten- und Zielsetzungen zum Biodiversitätsschutz essentiell. Wir haben uns im Netzwerk Biodiversität Österreich und seiner Vertretung, dem Österreichischen Biodiversitätsrat, zusammengeschlossen, um politischen Entscheidungsträger_innen beratend und unterstützend zur Seite zu stehen. Noch nimmt man unser Angebot eher zögernd an, wir freuen uns jedoch bereits zur Abgabe von Stellungnahmen, in Kommissionen und Arbeitsgruppen eingeladen worden zu sein,“ betont Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian Sturmbauer, Zoologe und Leiter des Instituts für Biologie der Universität Graz sowie Mitglied des Leitungsteams im Österreichischen Biodiversitätsrat. Der Biodiversitätsrat vermisst weiterhin die Einrichtung eines nationalen Zentrums für Biodiversitätsdokumentation sowie die Verstärkung der Ausbildungen über biologische Zusammenhänge in Pflicht- und höheren Schulen sowie in der Erwachsenenbildung.

Global durchstarten

Im Jahr 2022 finden entscheidende Ereignisse zum zukünftigen Artenschutz statt. Die Weltgemeinschaft verhandelt konkrete Ziele für die globale Biodiversitätspolitik. Die daraus resultierenden Ziele sollen im Dezember 2022 in Montreal (Kanada) beschlossen werden. „Die Polykrise aus Politik, Energie und Wirtschaft darf uns nicht vom Verlust unserer Lebensgrundlagen auf unserem Planeten ablenken. Wir müssen darauf konzentriert bleiben, die internationalen Anstrengungen zu nutzen und endlich große Schritte im Biodiversitätsschutz machen“, schließt Irmgard Greilhuber.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /