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© Im Bild v.l.n.r.: Gina Pirro, Hans-Josef Fell, Clara Schweizer (Foto von Jakob Sauter)

Klima-Taskforce Nürtingen – ein Beispiel für erfolgreiche zivilgesellschaftliche Organisation

Die Klimakrise schreitet auch in Deutschland rapide voran. Oftmals tun sich Politikerinnen und Politiker sowie Verwaltungen schwer, die vielen notwendigen Maßnahmen zur Emissionssenkung zu planen, zu organisieren und umzusetzen.

Im schwäbischen Nürtingen haben sich engagierte BürgerInnen aufgemacht, sich für die städtische Klimaneutralität in der Stadtgesellschaft zu organisieren. Letzte Woche war ich als Vortragender zu Gast bei der Klima-Taskforce Nürtingen und konnte mir selbst ein Bild davon machen, wie engagiert und mit viel Freude BürgerInnen aller Altersgruppen gemeinsam daran arbeiten, den Klimaschutz in den wichtigsten Sektoren voranzubringen.

Nürtingen ist eine Stadt in Baden-Württemberg mit rund 50.000 EinwohnerInnen, die im Umkreis von Stuttgart liegt und über starke Industrieunternehmen verfügt. Der Verein Klima-Taskforce e.V. in Nürtingen ist ein Zusammenschluss von über 70 aktiven Menschen, die von der Fridays for Future-Aktivistin und ehemaligen Jugendratvorsitzenden der Stadt Nürtingen Clara Schweizer ins Leben gerufen wurde. Die erst 20-jährige Nürtingerin hat mit der Klimataskforce ein spannendes Projekt gestartet, die Zivilgesellschaft der Stadt direkt in die Planung und Umsetzung der zahlreichen Klimaschutzmaßnahmen einzubeziehen.

„Kommunen sind die Orte, an denen Klimaschutz aktiv angegangen werden kann, denn alle Beschlüsse, die auf Landes- und Bundesebene gefasst werden, müssen letztlich in den Kommunen umgesetzt werden. Da setzen wir an.“, erklärt die Gründerin ihr Projekt. Die interdisziplinäre Klima-Taskforce bestehend aus lokalen AkteurInnen aus Wirtschaft, Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft, will konkrete Projekte zum kommunalen Klimaschutz anstoßen. Das hat auch noch mehr Vorteile, sagt Schweizer: „Ich denke auch, dass Klimaschutzmaßnahmen eine andere Akzeptanz erfahren, wenn sie von der lokalen Bevölkerung mitentwickelt und umgesetzt werden. Das Wichtigste ist, dass man anfängt, darüber zu reden.“

Die Klima-Taskforce will lösungsorientierte Projekte schnell umsetzen und erproben, die kurzen Wege in der Stadtgesellschaft nutzen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit  erleichtern. In der Klima-Taskforce sind Mitglieder aus der Universität, Vertreter lokaler Unternehmen, der Stadtverwaltung und dem Stadtrat genauso wie viele NürtingerInnen, die einfach etwas für ihre Stadt tun wollen. Eine „Mischung aus beruflichen Expertinnen, Technikfreaks, Studierende, jungen und alten Menschen“. Unterstützt wird die Klima-Taskforce nicht nur von der Klimaschutzmanagerin und dem Nürtinger Oberbürgermeister, sondern auch von der lokalen Hochschule, dem Chef der Stadtwerke, StudentInnen und RentnerInnen. Finanziert wird das Projekt von der Organisation Join Politics, die die Organisatorin Clara Schweizer als politisches Talent bei der Umsetzung ihrer Idee fördert.

Gegründet wurde die Klima-Taskforce im Oktober 2022. Zwei Monate später stellte sich der Verein mit einer Kickoff-Veranstaltung, zu der über 80 Personen kamen der Stadtgesellschaft vor und rief themenspezifische Arbeitsgruppen ins Leben. In wenigen Wochen entstanden schon fünf aktive Arbeitsgruppen, die zu den Themen Energie, Wärme, Verkehr, Konsum und Landwirtschaft arbeiten.

Die AG Mobilität organisierte beispielsweise ihren ersten Mobilitätstag in einem Stadtteil von Nürtingen mit Vorträgen und Begehungen, um die BürgerInnen zu fragen: Was braucht es für nachhaltige, funktionierende Mobilität im Stadtteil, wo muss ein Carsharing-Standort hin, wo sollen Radwege sein? Die AG Konsum plant einen Aktionstag zu nachhaltigem Konsum mit Upcycling Ständen, Second Hand Modeschau, Repairwerkstatt. Einige machen sich darüber Gedanken, wie sich die lokalen Schulen stärker vernetzen und Klimaschutz AGs gründen an den Schulen. Die AG Energie und Wärme untersucht die Möglichkeiten, für die Stadt auch Windräder zu bauen.

Mitglieder der Klima-Taskforce organisieren auch Hintergrundgespräche mit lokalen Unternehmen und vernetzen diese, damit aktuelle Hürden und Engpässe beispielsweise bei der Beschleunigung des Dach-PV-Flächen-Ausbaus durch Synergien und Zusammenarbeit gesenkt werden können. So ergaben erste Gespräche, dass die eine Firma einen großen Lagerbestand PV hat und ob es ein Rabattprogramm für Nürtingen geben könnte; eine andere Firma hat noch die benötigten Handwerker, um diese zu installieren. Auch will die Klima-Taskforce erstmalig die Nachhaltigkeitsbeauftragten aus den ansässigen Unternehmen zu einem gemeinsamen Austausch einladen.

Interdisziplinäre Vernetzung, gemeinsames Lernen, und viel Gemeinschaftssinn – in Nürtingen ist in kurzer Zeit ein breites städtisches Bündnis entstanden, dass vielfältige ExpertInnen aus verschiedenen Sektoren zusammen bringt, gemeinsame Ziele entwickelt und so den Gemeinderat und die Stadtverwaltung für ihre Anliegen gewinnen möchte. Inzwischen sind bereits 600 Personen aus der Stadt im Emailverteiler.

„Unser Wunsch ist, diesen Prozess nicht nur in Nürtingen anzustoßen, sondern auch in anderen Kommunen, sodass es – Puzzlestück für Puzzlestück – hin zu einem großen Puzzle-Bild der Klimaneutralität in Deutschland kommt. Dafür soll ein Baukasten aus Best Practice Beispielen entstehen, der auch in anderen Kommunen zur Anwendung kommen kann.“

Die Klima-Taskforce in Nürtingen ist ein tolles Beispiel dafür, dass niemand abwarten muss, um mit dem Klimaschutz zu beginnen – wenn alle gemeinsam ein großes Ziel verfolgen, entsteht viel Kreativität, Gemeinschaftssinn und Energie. Ein spannender Ansatz, dem hoffentlich viele Kommunen folgen werden.

Und vor allem zeigen die jungen Leute in Nürtingen aus der Fridays for Future Bewegung: wenn neben dem notwendigen Wachrütteln durch Demonstrationen, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch noch den Anstoß für konkreten kommunalen Klimaschutz geben. Dann können sie große Aktivitäten in der ganzen Kommune entfachen. Das Nürtinger Beispiel sollte daher überall in allen Kommunen Nachahmer finden.

Quelle

Hans-Josef Fell 2023 | Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG

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